Statt der Friedenspfeife gab's Tumult im Parlament

Straßburg · Es sollte ein starkes Signal des Europäischen Parlaments zum umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA werden. Aber heraus kam gestern ein fast schon beispielloser Eklat. Es mache ihm Angst zu sehen, wie "die Links- und die Rechtsradikalen hier im Haus sich gegenseitig in Rage reden und die Grünen an der Seite dieser Leute stehen", schimpfte der Chef der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion, Manfred Weber (CSU ). Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms keilte zurück, man könne wohl nicht jeden Kritiker der geplanten privaten Schiedsgerichte "als links- oder rechtsradikal an den Pranger stellen".

Es fielen auch weniger zitierfähige Worte.

Begonnen hatte der Krach bereits am Vorabend mit einer Entscheidung von Parlamentspräsident Martin Schulz . Der SPD-Politiker stoppte eine mühsam zwischen den Fraktionen ausgehandelte Resolution kurz vor der Abstimmung, weil es inzwischen rund 200 Änderungsanträge gibt. Die Geschäftsordnung des Plenums (Artikel 175) gibt ihm dieses Recht, sobald mehr als 50 Wünsche zur Nachbesserung vorliegen. Offenbar wollte Schulz in weiser Kenntnis der Gespaltenheit seiner Fraktion nur verhindern, dass das Paket am Ende abgelehnt wird. Doch mit seinem Stopp heizte er die Auseinandersetzung weiter an. Gestern Früh folgte dann Teil zwei des Debakels: Wenn es schon keine Abstimmung gab, wollten Christdemokraten und Liberale auch keine Debatte führen. Als 183 Abgeordnete den Antrag unterstützten (181 votierten dagegen), brach der Tumult los.

Eigentlich wollten die Abgeordneten den Unterhändlern für weitere TTIP-Verhandlungen klare Fesseln anlegen: Kommunale Dienstleistungen der allgemeinen Daseinsvorsorge sollten ausgeklammert werden. Die Volksvertretung wollte man bei den gemeinsamen Industrie-Standards als Entscheidungsgremium verankern. Nur bei den umstrittenen Schiedsverfahren gab es weiter Meinungsverschiedenheiten. Während die Christdemokraten für eine stark überarbeitete, öffentliche Variante der bisherigen Geheimgerichte eintraten, forderten die Sozialdemokraten deren vollständige Abschaffung - ersatzweise eine Zuständigkeit der nationalen Höfe oder die Installation eines internationalen Handelsgerichtshofs. Doch die Einigung auf der Fachebene hielt nicht lange, jetzt muss die Resolution im Handelsausschuss nochmal aufgeschnürt werden. Die Parlamentsdebatte wurde unter Protest auf unbestimmte Zeit verschoben.

Die Wirkung des eskalierten Streits ist verheerend. Denn eigentlich wollten diejenigen, die an einer politischen Antwort zum TTIP-Abkommen interessiert waren, die Volksvertretung zu einem gewichtigen Mitgesetzgeber an der Seite der Europäischen Kommission aufbauen. Was gestern geschehen ist, hat diesen Versuch nicht nur zunichte gemacht. Der Eklat hat auch den Ruf des Parlaments-Plenums beschädigt. Zum ersten Mal seit ihrer Wahl vor gut einem Jahr scheiterte die Straßburger Kammer an ihrer eigenen Zersplitterung - nicht etwa wegen der Rechten oder Linken, sondern weil die Kräfte in der Mitte sich nicht einig waren. Das Ergebnis ist sozusagen ein Totalausfall des Parlaments in der so wichtigen TTIP-Debatte der kommenden Wochen. Dabei wäre gerade eine starke Stimme aus Straßburg dringend nötig gewesen.

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