Srebrenica und die ewige Schuldfrage

Den Haag · Srebrenica steht nicht n ur für das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Ort ist auch Symbol für das Versagen der internationalen Gemeinschaft.

Denn vor knapp 20 Jahren stand die bosnische Enklave mit ihren rund 25 000 Flüchtlingen unter dem Schutz der Vereinten Nationen. Zuständig war eine Einheit niederländischer Blauhelm-Soldaten. Unter ihren Augen vollzog sich im Juli 1995 das Massaker. Serbische Einheiten ermordeten rund 8000 muslimische Männer und Jungen.

Die mutmaßlich Schuldigen stehen vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag : Der ehemalige Serbengeneral Ratko Mladic und der Ex-Serbenführer Radovan Karadzic erwarten noch ihr Urteil. Nur wenige Kilometer vom Tribunal entfernt gab es einen wegweisenden Spruch zur internationalen Verantwortung für das Massaker. Der niederländische Staat ist mitverantwortlich und daher haftbar für den Tod von mehr als 300 Männern, urteilte das Zivilgericht von Den Haag .

Srebrenica stand im Juli 1995 unter dem Schutz der niederländischen UN-Einheit Dutchbat. Sie hatte die Enklave am 11. Juli 1995 den serbischen Truppen unter General Mladic kampflos überlassen. Zwei Tage später, so das Gericht, hatten die Niederländer den Serben bei der Deportation der über 300 Männer geholfen. "Man kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass diese Männer am Leben geblieben wären, wenn Dutchbat ihnen gestattet hätte, auf dem Militärgelände zu bleiben", sagte Richterin Larissa Alwin. Für die Kläger, die "Mütter von Srebrenica ", ist dies nur ein Teilerfolg. "Warum nur 300 Opfer? Warum nicht auch die übrigen rund 2000, die außerhalb der Militärbasis waren?", fragten sie in Den Haag . Seit Jahren ziehen die Angehörigen vor Gerichte. Ihnen geht es weniger um eine Entschädigung, sondern um eine Entschuldigung: ein Schuldeingeständnis der internationalen Gemeinschaft, allen voran der Niederlande .

Ein Schuldspruch ist das Urteil nicht, aber dennoch ein Meilenstein in der juristischen Aufarbeitung von Srebrenica . Für den niederländischen Staat ist das Urteil ein Schlag ins Gesicht. Denn er weist seit Jahren jede Verantwortung weit von sich. Seine Argumentation: Die Vereinten Nationen hatten damals den Oberbefehl. Wir konnten nichts ausrichten. General Mladic war der Schuldige. Lange folgten auch die Gerichte der Haltung der niederländischen Führung. Bisher wurden die Klagen der "Mütter von Srebrenica " abgewiesen. Im vergangenen Jahr bestätigte noch der Europäische Gerichtshof die Immunität der Vereinten Nationen. Doch dann folgte im September 2013 ein überraschendes Urteil. Die Niederlande waren nach dem Spruch ihres höchsten Gerichts haftbar für den Tod von drei Männern. Dieser Fall lag zwar anders als die jetzige Klage der "Mütter". Doch der Hohe Rat hatte damals auch festgestellt, dass nicht die UN, sondern die Niederlande selbst auf ihrer Militärbasis die Kontrolle hatten.

Das Zivilgericht geht noch einen Schritt weiter, indem es den Staat auch für die Deportation mitverantwortlich macht. Damit wurde zum ersten Mal ein Heimatstaat einer UN-Friedenstruppe für die Kriegsverbrechen Dritter haftbar gemacht. Genau das sollte aber durch die rechtliche Immunität der Vereinten Nationen vermieden werden. Denn welcher Staat will sich noch an einem internationalen Friedens einsatz beteiligen, wenn Klagen möglich sind?

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