Sparen als Götzendienst

Sigmar Gabriel hat die Erkenntnis ziemlich exklusiv, dass sich im Volk der Spruch breitmache, der Staat tue alles für die Flüchtlinge , für die Bürger aber nichts. Schon die jämmerliche Situation, in der die Flüchtlinge hier anfangs leben, widerlegt diesen Eindruck jeden Tag.

Mag sein, dass Ausländerfeinde diesen Popanz benutzen, weil sie jedes Argument gegen Flüchtlinge nutzen. Die beflügelt der SPD-Chef allenfalls noch, wenn er so etwas von der Staatsspitze her verbreitet.

Nein, nicht die Flüchtlinge sind der Grund, um, wie von ihm gefordert, jetzt ein milliardenschweres Solidarprojekt aufzulegen, mit höheren Renten, mehr Mitteln für Behinderte, mehr Hilfen für die Kommunen, mehr Investitionen in die Infrastruktur, mehr Personal bei Militär und Polizei . Der Grund, all dies zu tun, ist, dass es erstens notwendig und zweitens auch bezahlbar ist. Die Haushalte von Bund und Ländern verzeichnen Rekordüberschüsse, die mehr erlauben als nur das, was der Zustrom von Neubürgern an Kosten nach sich zieht. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es wäre falsch und hätte eine ebenso hetzerische Wirkung, die Flüchtlinge als Argument zu nehmen, um diese sinnvollen und zum Teil in der Koalition schon verabredeten Reformen nicht umzusetzen. Zumal die Flüchtlinge , wenn ihre Integration gelingt, die in sie getätigten Investitionen später mehrfach an die Gesellschaft zurückzahlen werden.

Nun ist allerdings unübersehbar, dass all die Aufgaben kurzfristig mit dem Versprechen der "Schwarzen Null" kollidieren, das Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel wie eine Monstranz vor sich her tragen. Es ist neben dem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, das einzige Alleinstellungsmerkmal der CDU geblieben, das sie bis zum Wahltag retten will. Nur: Nach dem Grundgesetz gilt ein Etat als ausgeglichen, wenn er um nicht mehr als 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überzogen wird. Derzeit wären das zehn Milliarden Euro. Es gibt gute Gründe, mindestens diesen Spielraum zu nutzen. Schon die Inflation gleicht das aus, erst recht das Wachstum.

Ein Staat ist keine schwäbische Hausfrau, er muss in Kategorien von Nachhaltigkeit, Zukunftsinvestitionen, Vermeidung späterer gesellschaftlicher Kosten denken. Und was das CDU-Versprechen angeht, die Steuern nicht zu erhöhen: Es wäre auch dann erfüllt, wenn man das Steueraufkommen insgesamt nicht erhöhen würde. Die Gesamteinnahmen reichen in der Tat vollkommen aus. Aber dass man Erben und Vermögende stärker heranziehen muss, um im gleichen Maße die Arbeitnehmer und Familien zu entlasten, das ist auch eine Zukunftsfrage, die in Zeiten großer Herausforderungen nicht parteipolitischen Götzen geopfert werden darf.

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