Spanien steht vor einem politischen Erdbeben
Madrid · Eines steht schon vor der spannenden Parlamentswahl am Sonntag in Spanien fest: Es wird keinen Rechtsruck geben. Rechtspopulistische Bewegungen, wie sie zum Beispiel in Frankreich, Italien, Österreich, in der Schweiz oder auch in Deutschland wachsen, existieren in Spanien nicht.
Das ist eine gute Nachricht für Europa. Dabei ist das Potenzial der frustrierten und unzufriedenen Wähler im Krisenland Spanien keineswegs geringer als in anderen Ländern: Die immer noch große Schulden- und Wirtschaftsmisere, Massenarbeitslosigkeit, wachsende Armut, harte Sparbeschlüsse und immer neue Korruptionsskandale haben eine vom politischen Establishment enttäuschte Gesellschaft hinterlassen.
Und diese Misere hat auch große soziale Spannungen gerade in der jungen Generation erzeugt, in der sich wegen eines kaputtgesparten Bildungssystems und fehlender Jobchancen Frustration breitmachte. Auch wenn dies keine Gewaltakte rechtfertigt, wie den brutalen Faustangriff eines Jugendlichen auf den konservativen Regierungschef Mariano Rajoy . Doch der Unmut über die in Spanien Regierenden ist so gewaltig, dass er gleich zwei Protestbewegungen hervorbrachte. Protestströmungen, die aber nicht rechts, sondern links von den regierenden Konservativen aufblühten. Der kometenhafte Aufstieg der linksalternativen Empörtenpartei Podemos ("Wir können") und der liberalen Plattform Ciudadanos ("Bürger") dürfte am Sonntag in Spanien für ein politisches Erdbeben sorgen.
Die beiden bisherigen Traditionsparteien, die Konservativen von Ministerpräsident Rajoy sowie die sozialistische Opposition, steuern derweil auf ein Debakel zu. Für den 60-jährigen Rajoy wird es eng werden, da er vermutlich keine tragfähige Mehrheit erringen wird. Was einen Linksruck und einen Machtwechsel denkbar macht, bei dem die Protestparteien das Zünglein an der Waage sein dürften.
Für Spanien ist das Erstarken dieser neuen Bürgerbewegungen, die eine demokratische Erneuerung versprechen und von jungen, talentierten Nachwuchspolitikern angeführt werden, ein Segen: Sie verleihen der verzweifelten jungen Generation endlich eine Stimme. Jener Generation, die unter einer skandalösen Arbeitslosigkeit von nahezu 50 Prozent leidet und sich von der alteingesessenen politischen Oberschicht im Stich gelassen fühlt.
In den letzten Jahren hat sich im Königreich leider der traurige Eindruck festgesetzt, das Konservative und Sozialisten, die wechselweise in Rathäusern und Parlamenten regierten, das Land wie einen Selbstbedienungsladen führten: Ermittlungen brachten Haarsträubendes an den Tag: Etwa eine Schwarzgeld- und Schmiergeldkasse bei den Konservativen, aus der Rajoy und seine Vertrauten ihre Gehälter aufgebessert haben sollen, aus der Wahlkämpfe finanziert und Parteizentralen saniert wurden.
Das sich anbahnende Wahlbeben eröffnet nun die Chance auf eine Läuterung, in einem Land, das eine neue politische Ehrlichkeit mindestens genauso dringend benötigt wie ökonomische Reformen, um Jobs und Zukunftsperspektiven zu schaffen. Denn in Sachen Finanzen und Wirtschaft braucht Spanien, dessen Konjunkturmotor nach Jahren der Depression immerhin wieder angesprungen ist, ebenfalls neue Ideen und neuen Schwung, um nicht bald wieder in die nächste Krise zu rutschen.