Chemiewaffen-Einsatz in Syrien Späte Spurensuche in vergifteter Atmosphäre

DAMASKUS (dpa) Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) sollten gestern damit beginnen, zu ermitteln, ob am 7. April in der damals noch von Rebellen kontrollierten Stadt Duma Giftgas eingesetzt wurde. Doch weil ein UN-Sicherheitsteam, das die Lage für die OPCW-Mitarbeiter erkunden sollte, gestern vor Ort unter Beschuss geriet, steht der Beginn der Untersuchung des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes aus, für den der Westen die syrische Regierung verantwortlich macht. Syrien und Russland weisen das zurück. Eigentlich stehen die OPCW-Experten unter enormem Zeitdruck, um Spuren zu sichern. Einen Schuldigen in diesem vergifteten Klima zu benennen, ist dabei nicht ihre Aufgabe.

Dass in Duma Giftgas eingesetzt wurde, dafür gibt es mehrere Hinweise. Augenzeugen berichteten, die Stadt sei am 7. April mehrmals bombardiert worden. Nach einem Angriff nahe dem Märtyrerplatz tauchten in sozialen Medien Bilder und Filme von Opfern auf, die weißen Schaum vor dem Mund oder in der Nase hatten. Die Rettungsorganisation Weißhelme erklärte, eine Fassbombe mit einem „chemischen Mittel“ sei abgeworfen worden. Ein Fotograf berichtete, er habe im Erdgeschoss eines Gebäudes 25 bis 30 Tote mit Schaum vor dem Mund gesehen. Die Weißhelme sprachen zunächst von mehr als 150 Todesopfern, mussten dann die Zahl auf 43 korrigieren. Die Vereinten Nationen sprechen von mutmaßlich 49 Getöteten.

Wie andere Augenzeugen berichtete auch ein Sanitäter, der von der deutschen Hilfsorganisation „Adopt a Revolution“ zitiert wurde, von starkem Geruch nach Chlor. Der deutsche Chemiker Ralf Trapp, Experte der OPCW, sagte dagegen, Fotos von Todesopfern deuteten darauf hin, dass in Duma Saringas eingesetzt worden sein könnte.

Was die Experten immerhin zehn Tage nach dem Anschlag nun noch finden können, hängt davon ab, ob sie auch Zugang zu der Stelle bekommen, an der die Bombe explodiert sein soll. Die Experten werden versuchen, so viele Proben wie möglich zu nehmen – von Boden, Wasser, Gebäuden. Sie werden sicherlich Blut- und Gewebeproben von Opfern entnehmen. Bei Autopsien werden sie auch auf Organveränderungen achten, etwa in den Lungen, die auf bestimmte Kampfstoffe hinweisen. Schließlich haben die OPCW-Experten auch das Recht, Augenzeugen, medizinisches Personal und Opfer zu befragen. Dass Spuren beseitigt werden können, glaubt Trapp nicht. Es sei nicht einfach, ganze Gebäude zu entgiften.

Syriens Regierung und Russland erklärten, der Giftgaseinsatz und die Bilder von Opfern seien inszeniert worden. Das russische Staatsfernsehen verbreitete Fotos, die angeblich zeigen sollen, dass die Weißhelme schon an gefälschten Aufnahmen beteiligt gewesen waren. Tatsächlich stammten die Bilder aus dem Film „Revolution Man“ – der von der staatlichen syrischen Filmorganisation produziert wurde.

Die vorliegenden Informationen richten den Verdacht gegen die syrische Armee. So warfen Helikopter der Luftwaffe bereits früher ähnliche gelbe Zylinder bei Angriffen mit Chlorgas ab, wie aus einem Bericht von Human Rights Watch hervorgeht. Und Syriens Regierung hat schon früher Giftgas eingesetzt, nach Aussage einer unabhängigen Ermittlungskommission der Vereinten Nationen mindestens 28 mal seit 2013. Assad-Anhänger argumentieren allerdings, die Regierung habe kein Motiv für einen Giftgaseinsatz in Duma, da die Rebellen dort zum Zeitpunkt des Angriffs schon verloren hätten. Gegner der Regierung halten dagegen, sie wolle mit Chemiewaffen möglichst viel Schrecken verbreiten und die Rebellen zur Aufgabe zwingen.

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