Skandal im Seniorenheim

Meinung · Ein Fall von Sadismus? Das Werk von Psychopathen? Eine Art Amoklauf? So könnte man die schrecklichen Geschehnisse im Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Elversberg nennen. Dabei belassen darf man es aber nicht. Awo, Staatsanwaltschaft und Heimaufsicht müssen viel tiefer bohren, um Antworten zu finden

Ein Fall von Sadismus? Das Werk von Psychopathen? Eine Art Amoklauf? So könnte man die schrecklichen Geschehnisse im Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Elversberg nennen. Dabei belassen darf man es aber nicht. Awo, Staatsanwaltschaft und Heimaufsicht müssen viel tiefer bohren, um Antworten zu finden.Konnten tatsächlich zwei Pfleger monatelang pflegebedürftige Patienten quälen und deren Tod in Kauf nehmen, ohne dass jemand einschritt? Dahinter stünde das komplette Versagen sämtlicher externer und interner Kontrollmechanismen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen überprüfte das Heim in Elversberg zuletzt im Dezember vorigen Jahres und hatte nichts Wesentliches zu beanstanden. Der sozialmedizinische Dienst der Knappschaft vergab die Gesamtnote 1,4 - das ist eine Eins minus. Blanker Hohn angesichts der Todesfälle. Pflege-Experten wie der Münchner Claus Fussek kritisieren schon lange die Aussagekraft dieser freiwilligen Prüfberichte, die eigentlich als Orientierung für Patienten und Angehörige gedacht waren. Der Fall Elversberg hat ihn auf dramatische Weise bestätigt.

Auch intern hätten die Alarmglocken läuten müssen. Aber dort herrschte offenbar ein Kartell des Schweigens. Warum? Angeblich wurden Kollegen von den Beschuldigten eingeschüchtert, aber wieso haben sie sich nicht an die Heimleitung gewandt und erst auf gezielte Nachfragen ihr Wissen preisgegeben? Und wenn die medizinische Versorgung so exzellent war, wie die Überprüfung ergab, wieso musste dann erst einer Arztpraxis auffallen, dass mehr Morphium angefordert wurde, als verschrieben war?

Der Fall in Elversberg ist jedoch nur die Spitze eines Eisbergs. In vielen Pflegeheimen mag es korrekt zugehen, aber eben nicht in allen. Viel zu oft bekommen Patienten zu wenig zu essen oder zu trinken, viel zu oft werden sie im Rollstuhl in einer Ecke abgestellt oder allein in ihren Zimmern gelassen. Es ist das tägliche Ausmaß an Vernachlässigung, das jeden Tag einen millionenfachen Aufschrei hervorrufen müsste. Natürlich ist oft das Personal schlicht überfordert. Zwei Personen für 30 Pflegefälle - das kann nicht ausreichen. Oft genug hapert es auch an der Ausbildung der Pflegekräfte. Das alles kann man ändern, aber es kostet Geld. Tatsächlich wird aber oft am Personal gespart - da bleiben Patienten zwangsläufig auf der Strecke.

Wir müssen uns schon fragen, was uns gute Pflege wert ist und was wir dafür bezahlen wollen. Von der Politik ist da leider wenig zu erwarten. Gesundheitsminister Daniel Bahr ist die lange angekündigte Pflegereform bis heute schuldig geblieben. Sie hätte manchen Missstand gelindert. Fälle wie in Elversberg hätte sie allerdings auch nicht verhindern können.

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