Schüler brauchen „statistische Bildung“

Berlin · Angesichts der Zahlen und „Fakten“, mit denen wir täglich überflutet werden, wird eine grundlegende Methodik immer wichtiger: Statistik. Weder Wirtschaft noch Risiken beim Verbrauch kann man ohne ein Minimum an „statistischer Bildung“ wirklich verstehen.



"Statistical literacy" - also die Fähigkeit, Statistiken zu interpretieren - ist mehr als Mathematik, sie umfasst vor allem auch die Kompetenz zum kritischen Blick auf die Aussagekraft von Statistiken. Denn eine sachliche Aussagekraft ist oft nicht vorhanden. Um das beurteilen zu können, brauchen Schüler nur ein wenig an speziellem mathematischen Wissen und vor allem einige Grundkenntnisse zur Datenerhebung. Denn Statistiken werden mühsam aus Beobachtungen und Befragungen zusammengestellt.

Schüler und Erwachsene sollten zum Beispiel den Unterschied zwischen Prozenten (dem Anteil einer Gruppe am Ganzen) und Prozentpunkten (der Differenz von Anteilen) kennen und den Unterschied von arithmetischem Mittelwert (wie wir es alle in der Schule gelernt haben) und Median (der die obere und untere Hälfte einer Verteilung trennt). Außerdem sollte gelehrt werden, auf welch wackeligen Beinen die meisten Statistiken stehen. Oft fußen sie nur auf Stichproben. Es sollte gelehrt werden, dass zum Beispiel auf Basis der üblichen Stichproben Veränderungen der Armutsquoten von einem Prozentpunkt in der Regel nicht signifikant, das heißt nicht aussagekräftig sind. Und dass aufgrund der üblichen kleinen Stichproben der Wahlforscher Wahlprognosen für kleine Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen, nicht möglich sind.

Und wo, wenn nicht im Statistik-Unterricht, könnten Schüler etwas über Kontrollgruppen beziehungsweise deren Nichtvorhandensein in der realen Welt erfahren? Etwa, dass wegen fehlender "Kontroll-Volkswirtschaften", für die man beobachten könnte, wie wirtschaftspolitische Maßnahmen im Vergleich zur eigenen Volkswirtschaft wirken, Konjunkturprognosen aus rein methodischen Gründen äußerst schwierig sind.

Für alle Lehrer, die Fächer lehren, die sich mit den gegenwärtigen Gesellschaften, deren Wirtschaft und deren Geschichte beschäftigen, sollte gelten, dass sie nicht nur historisch, geographisch, politik- , sozial- oder wirtschaftswissenschaftlich ausgebildet sind, sondern dass alle diese Lehrer auf jeden Fall Statistiken beurteilen und deren Schwächen gut erklären können müssen. Das ist leider einfacher gesagt als getan, denn in den Universitäten wird Statistik-Methodenlehre nicht breit vermittelt, sondern meist zum "Hinausprüfen" Studierender benutzt.

Dass der kritische Umgang mit Statistiken Schülerinnen und Schülern wahrscheinlich sogar Spaß machen würde, zeigt die "Unstatistik des Monats" (www.harding-center.com/index.php/de/unstatistik-des-monats). Auf der Website kann man zum Beispiel nachlesen, warum Bundespräsident Joachim Gauck nicht Recht hatte mit seiner Behauptung, Polen seien fleißiger als Deutsche, der "Global Wealth Report" wenig über das Vermögen der Deutschen aussagt und die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien alles andere als eine "Armutseinwanderung" ist.

Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin und Vorsitzender des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort