Schonzeit für den Diktator Assad

Istanbul · Nach fast vier Jahren Bürgerkrieg in Syrien mit mehr als 200 000 Toten gerät ein Prinzip der westlichen Politik in dem Konflikt ins Wanken: Die USA bestehen laut Presseberichten nicht mehr auf einer Entmachtung von Präsident Baschar al-Assad als Voraussetzung für eine Friedenslösung.

Dieser Kurswechsel dürfte auf den entschiedenen Widerstand des Partners und Frontstaates Türkei treffen, der Assad als Erzfeind betrachtet. Dennoch mehren sich die Hinweise, dass die Amerikaner den syrischen Präsidenten zumindest vorerst schonen wollen - um sich auf den Kampf gegen die IS-Dschihadisten zu konzentrieren.

Dass Assad gehen muss, weil er seit März 2011 einen Krieg gegen das eigene Volk führt, gehörte bisher zu den westlichen Grundsätzen in Syrien. USA, Türkei und EU fordern den Rücktritt des syrischen Präsidenten und die Bildung einer Übergangsregierung, um den Frieden im Land wieder herzustellen und den mehreren Millionen Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Die syrische Regierung, Russland und der Iran wehren sich jedoch gegen eine Ablösung Assads. Lange standen sich beide Seite kompromisslos gegenüber. Doch die Erfolge des Islamischen Staates (IS) und anderer radikaler Gruppen haben die Lage verändert. Assad erscheint inzwischen als das kleinere Übel.

Offiziell ist von einer Neubewertung zwar keine Rede. Doch diese Woche berichtete die "New York Times", Washington sei über irakische Vermittler in Kontakt mit der syrischen Regierung, um Zwischenfälle bei amerikanischen Luftangriffen zu vermeiden. Die Botschaft an die Syrer laute, dass sich die US-Schläge nicht gegen Assads Truppen richteten, sondern gegen Stellungen des IS. Zudem unterstützt Washington die Bemühungen von UN-Vermittler Staffan di Mistura, mit Hilfe lokaler Waffenruhen die Kämpfe in Syrien "einzufrieren", um dann Opposition und Regierung an einen Tisch zu bringen. Auch dabei wird die Forderung nach Assads Rücktritt erst einmal zurückgestellt.

Für den Schwenk der USA gibt es zwei Gründe. Der erste liegt im Scheitern der gemäßigten syrischen Rebellen, die Assads Regierungstruppen auch in drei Jahren Krieg nicht besiegen konnten; nun geraten sie selbst zunehmend in die Defensive. Der zweite Grund ist das Erstarken des IS und der zu Al-Qaida gehörenden Nusra-Front. Die radikalen Islamisten gelten - anders als Assad - als Gefahr für den Westen, weshalb ihre Bekämpfung aus Sicht der USA Vorrang hat.

Insbesondere für die Türkei, die sich Assads Entmachtung auf die Fahnen geschrieben hat, ist die neue Situation bedenklich. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisieren die westliche Weigerung, Assads Truppen anzugreifen. Auf eigene Faust wollen sie aber auch nicht in Syrien intervenieren. Mit den USA verständigte sich Ankara zwar vor einiger Zeit auf die gemeinsame Ausbildung und Bewaffnung einer neuen gemäßigten Rebellentruppe, die als Nachfolgerin der demotivierten Freien Syrischen Armee antreten soll. Allerdings sind die beiden Partner uneins darüber, gegen wen die 15 000 Mann starke Truppe in Syrien eigentlich kämpfen soll. Der türkische Vorschlag sieht vor, die neue Rebellen-Einheiten sowohl gegen die IS-Kämpfer als auch gegen Assads Regierungstruppen in die Schlacht zu schicken. Doch die USA sträuben sich.

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