Schon wieder Olympia?

Meinung · Kein finsterer Diktator. Kein Regime, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Keine Oppositionsführer in Haft. Niemand zweifelt daran, dass Angela Merkel auf der Tribüne des Olympiastadions neben der Queen Platz nehmen kann. Und niemand demonstriert für die Freilassung politischer Gefangener

Kein finsterer Diktator. Kein Regime, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Keine Oppositionsführer in Haft. Niemand zweifelt daran, dass Angela Merkel auf der Tribüne des Olympiastadions neben der Queen Platz nehmen kann. Und niemand demonstriert für die Freilassung politischer Gefangener. Es scheint so, als würden sich die Olympischen Spiele in London tatsächlich auf das konzentrieren, was im Mittelpunkt stehen soll: Sport. Aber reicht das, um die Aufmerksamkeit zu fesseln? Täuscht das Gefühl, dass Olympia vielen völlig schnuppe ist. Ist der olympische Geist noch lebendig?Die Abstände zwischen den Großereignissen des Sports werden immer kleiner. Längst sind es nicht mehr nur Olympische Spiele und Fußball-WM, die sich dieses Etikett anhängen. Auch Biathlon- oder Handball-WM werden zum "Event". Die Ausrichter lassen Millionen springen, um die Massen zu locken. Das Fernsehen überträgt stundenlang, unzählige Experten oder Möchtegern-Experten erklären uns die Welt des Sports. Da kann sich selbst beim hartgesottensten Fan der Überdruss einschleichen. Der Funke des Besonderen - er zündet oft nicht mehr. Schon wieder Olympia . . .

Dazu kommt das allgegenwärtige Thema Doping. Dabeisein ist eben doch nicht alles. Die Weltrekorde, die Topleistungen - alles nur Betrug, denken viele. Man kann es ihnen nicht verdenken. Keine Spiele ohne Skandal um die kleinen Helfer für das Schneller, Höher, Weiter. Oft waren es gerade die großen Stars, die später erwischt wurden oder nur gerade so entkamen: Ben Johnson, Carl Lewis, Marion Jones, ja sogar der allseits beliebte Dieter Baumann. Die Doping-Methoden werden immer ausgefeilter. Wer da noch glaubt, dass nur mit Talent und Trainingsfleiß Weltrekorde pulverisiert werden, erntet meist ein mitleidiges Lächeln. Auch in London ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Spiele ihren ersten Doping-Skandal haben.

Und doch ist und bleibt Olympia etwas Besonderes. Mag es an der Jahrtausende alten Tradition liegen oder an der geballten Wettkampf-Atmosphäre mit mehr als 300 Medaillenentscheidungen. Die Wettbewerbe unter den fünf Ringen bringen magische Momente hervor. Rekorde, deren Faszination man sich trotz aller Zweifel nicht entziehen kann. Rührende Helden wie den Gewichtheber Matthias Steiner, der 2008 in Peking bei der Siegerehrung das Foto seiner verstorbenen Frau zeigte. Kuriose Stars wie Éric Moussambani aus Äquatorialguinea, der erst acht Monate vor den Spielen in Sydney überhaupt schwimmen lernte. Wenn das olympische Feuer brennt, herrscht ein einzigartiges Flair. Dann ist alles möglich. Dann werden Geschichten für die Ewigkeit geschrieben. Der olympische Geist ist lebendig - wenn man sich darauf einlässt.

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