Schmuckloser Abschied eines EU-Urgesteins

Brüssel · Tagesordnungen erzählen keine Geschichten. So war das auch gestern, als der Auswärtige Ausschuss des Europäischen Parlamentes zu seiner ersten Sitzung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode zusammentrat. Erster Punkt auf der Agenda: Wahl eines Vorsitzenden. Kein Wort über den Mann, der dieses einflussreiche Gremium mit Unterbrechungen 13 Jahre geleitet hatte und der nun den Führungsstab abgab. Elmar Brok , 71 Jahre alt, CDU-Politiker aus Ostwestfalen, seit 37 Jahren Mitglied der europäischen Volksvertretung.

"Elmar", wie er vertraulich in Brüssel und Straßburg von Freund und Feind genannt wird, ist eine Institution. Wie dieses Wort zu verstehen ist, hat der früherer Bundeskanzler Helmut Kohl einmal vorgegeben, als er über Brok sagte, man könne sich seine Biografie ganz leicht merken: "Geboren, verheiratet, Europäisches Parlament ". Dort kursieren bis heute Anekdoten und Geschichten über den Westfalen, die nur eines zeigen sollen: Brok ist vernetzt wie kaum ein anderer. Eine dieser Geschichten geht so: Zu Beginn des Kaukasus-Krieges 2008 wollte Brok in das umstrittene Gebiet einreisen. Irgendwo an der Grenze stoppte ihn ein Soldat und verlangte die notwendigen Einreisepapiere, die der CDU-Mann aber nicht hatte. Während seine Begleiter mit dem Grenzschützer stritten, zückte Brok sein Mobiltelefon, wählte eine Nummer in Moskau und durfte fünf Minuten später passieren. Brok kennt die, die heute die Geschicke der Staaten leiten. Mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán ist er seit Studentenzeiten befreundet, mit dem früheren ukrainischen Despoten Viktor Janukowitsch führte er "schlimme Gespräche".

Dass Brok in Brüssel nicht unumstritten ist, weil man ihm immer wieder eine zu enge Verflechtung beispielsweise zum Bertelsmann-Konzern vorhielt, gehört zum Gesamtbild dazu. Vielleicht passte eine solche Nähe sogar zu der Politikergeneration, der Brok entstammt. Nun geht der letzte Mann Kohls.

Der Nachfolger ist ein Mann der Ära Angela Merkel: David McAllister war zweieinhalb Jahre Ministerpräsident von Niedersachsen als Nachfolger Christian Wulffs, der als Bundespräsident nach Berlin gewechselt war. Als die Wahl 2013 an die SPD verloren ging, wechselte McAllister nach Brüssel und widmete sich vor allem den Beziehungen Europas zu Serbien, eine komplizierte Materie, die er sich angeeignet hat und zum geschätzten Experten wurde.

Doch das ist nicht der eigentliche Zeitenwechsel, der sich jetzt vollzieht. Brok steht für eine Gemeinschaft, deren Traum von Krieg und Frieden bis auf den heutigen Tag verteidigt werden musste. Mit McAllister kommt nun ein Politiker der jungen Generation an die Spitze des europäischen Gremiums, der in der Zeit der Reisefreiheit und des Binnenmarktes politisch groß geworden ist. Für ihn sind offene Grenzen oder der Euro Errungenschaften, die er verteidigen will. Da McAllister einen schottischen Vater hat, gilt er in Brüssel zugleich als intimer Kenner der britischen Gemütslage - ein wichtiger Vorteil in Sachen Brexit. Sollte der Neue einmal Rat brauchen, ist er nah: Elmar Brok bleibt dem Parlament als Abgeordneter erhalten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort