Schicksalswahl im Gottesstaat

Teheran · Analyse Mit dem Atomdeal hat sich der Iran dem Westen vorsichtig geöffnet. Die Präsidentenwahl wird nun zeigen, ob der Klerus das Land wieder abschotten kann.

Keine Reformen, keine Öffnung, kein Ausgleich mit dem Westen - Ebrahim Raisi steht für einen Kurs der politischen Konfrontation. Der 56-jährige Konservative, der bei der heutigen Präsidentenwahl im Iran den moderaten Amtsinhaber Hassan Ruhani herausfordert, warnte im Wahlkampf vor "Schwäche im Angesicht des Feindes" und warb unter dem Schlagwort der "Widerstandswirtschaft" für ökonomische Autarkie statt einer weiteren Öffnung des Landes. Auch wenn sich die beiden graubärtigen Kleriker Raisi und Ruhani mit ihren randlosen Brillen und ihren Turbanen äußerlich ähneln, stehen sie für eine völlig entgegengesetzte Außenpolitik. Während Ruhani durch eine weitere Liberalisierung der Wirtschaft und die Normalisierung des Verhältnisses zu den USA Investoren anziehen will, setzt Raisi auf Abgrenzung.

Ruhani wirbt bei den Wählern um mehr Zeit, um seinen Kurs der Entspannung fortsetzen zu können. In seiner ersten Amtszeit war es ihm gelungen, mit dem internationalen Atomabkommen einen der brisantesten Konflikte in der Region zu entschärfen, der wiederholt zu einer militärischen Konfrontation mit Israel und den USA zu führen drohte. Doch auch wenn der Iran heute nicht mehr so isoliert dasteht wie unter Ruhanis umstrittenem Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad, bleiben zahlreiche Konflikte. Der stark gestiegene Einfluss Teherans im Irak, Syrien und dem Libanon macht die sunnitischen Golfstaaten nervös und führt immer wieder zu wütender Kritik an Teherans Politik.

Besonders Israel und Saudi-Arabien, das nach einem Angriff auf seine Botschaft in Teheran die Beziehungen abgebrochen hat, dringen auf einen härteren Kurs gegenüber der schiitischen Regionalmacht. Sie warnen, dass der Atomdeal und die damit verbundene Aufhebung der Sanktionen dem Iran ständig Geld in die Kriegskasse spüle. Im Iran dagegen ist das Abkommen derzeit kein Thema, da sich das geistliche Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei eindeutig dafür ausgesprochen hat. Aus Sicht von Clement Thermes vom International Institute for Strategic Studies hängt die Zukunft des Deals nicht vom iranischen Präsidenten ab, sondern vom Vorgehen von Donald Trump. Im Wahlkampf versprach dieser, das Abkommen zu zerreißen, das er als "schlechtesten Deal aller Zeiten" bezeichnete. Inzwischen scheint er verstanden zu haben, dass eine einseitige Aufkündigung kaum Wirkung zeigen würde, solange Europa, Russland und China nicht mitgehen.

Doch Trump hat andere Mittel. Wenn er neue Strafmaßnahmen verhängt, wie am Mittwoch geschehen, kann er das Atomabkommen aushöhlen. Denn schon die bestehenden US-Sanktionen halten viele europäische Banken und Konzerne davon ab, im Iran zu investieren. Bleiben jedoch weitere Investitionen aus, droht Ruhanis Politik des Aufschwungs durch Öffnung zu scheitern. Der Ökonom Djavad Salehi-Isfahani sieht jedoch auch Fehler beim Präsidenten. Ruhani habe den Niedergang aufgehalten, aber es mit dem Sparen übertrieben, sagt der US-Professor. Er habe zu wenig für Entwicklungsprojekte ausgegeben und es daher nicht geschafft, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Raisi will statt mit Geld aus dem Ausland die Wirtschaft aus eigener Kraft entwickeln. Zugleich verspricht er eine deutliche Erhöhung der Staatshilfen für Arme und Arbeitslose. Experten fühlen sich dabei an die populistische Politik Ahmadinedschads erinnert: Es sei völlig unklar, wie Raisi seine kostspieligen Pläne finanzieren will.

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