Schachzüge um das Schloss Bellevue

Berlin · Noch sind es drei Monate bis zur Wahl des nächsten Bundespräsidenten, und von Zeitdruck zu sprechen wäre übertrieben. Aber es sind auch schon fünf Monate vergangen, seit Joachim Gauck seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit im Schloss Bellevue erklärt hat. Seitdem sind viele Namen durchgespielt und einige verbrannt worden. Am morgigen Sonntag wollen Union und SPD einen neuen Versuch unternehmen, doch noch einen gemeinsamen Kandidaten zu finden. Die Erfolgsaussichten sind höchst ungewiss.

Nachdem SPD-Chef Sigmar Gabriel seinen populären Parteikollegen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier als besten denkbaren Bewerber präsentiert hat, sind Kanzlerin Angela Merkel und die Union unter Druck. Um ihn als gemeinsamen Vorschlag mitzutragen, hätten CDU und CSU ihn wohl auch mitverkünden müssen. Nun sind jene Unionspolitiker intern in Stellung gegangen, die auf einen eigenen Kandidaten pochen. In Teilen von CDU und CSU wird eindringlich davor gewarnt, bei der Bundespräsidentenwahl am 12. Februar ein schwarz-rotes Signal für die Bundestagswahl zu geben. Viele Bürger hätten genug von der großen Koalition. Die Union müsse einen eigenständigen Kurs fahren.

Merkel führt dem Vernehmen nach seit Tagen zahlreiche Gespräche, um die Hängepartei zu beenden. Laut "Spiegel" soll sie Bundestagspräsident Norbert Lammert in dieser Woche erfolglos um die Kandidatur gebeten haben - dabei hatte Lammert sich Mitte Oktober quasi selbst aus dem Rennen genommen, als er seinen Abschied von der Politik 2017 ankündigte. Er wäre für viele ein geeigneter Kandidat.

Zweimal schon soll sich Lammert Hoffnungen gemacht haben, dass Merkel ihn fragt. Da aber gab sie noch Horst Köhler und Christian Wulff den Vorzug, die beide als Präsidenten zurücktraten. Seither wird Merkels Geschick bei dieser besonderen Personalie in Zweifel gezogen.

In Unionskreisen wird immer wieder der Name des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle , als parteiübergreifender Kandidat genannt. Er hatte allerdings schon beim letzten Mal abgesagt. Als unwahrscheinlich wird bei der CDU eine Kandidatur der CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt gesehen. Und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann gilt als nicht durchsetzbar in der CSU .

In der Union sind einige nicht besonders glücklich darüber, wie die Suche bisher gelaufen ist. Tatsächlich ist der Eindruck entstanden, die CDU hätte womöglich keinen guten Kandidaten mehr an der Hand. Gabriel hat mit seinem Schachzug, Steinmeier öffentlich als Defacto-SPD-Kandidaten auszurufen, gegen die Absprache mit Merkel und Seehofer verstoßen, im Stillen nach einem Kompromiss zu suchen. Der Außenminister schweigt derweil. Viele in der SPD gehen aber davon aus, dass er sich eine Kandidatur durchaus vorstellen kann - notfalls auch im direkten Wettbewerb mit einem Unionskonkurrenten. Ein Erfolg dabei wäre für Gabriel und die SPD ein Coup. Fast wie von selbst würden sich mit einer Steinmeier-Kür weitere schwierige Personalien bei den Sozialdemokraten lösen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz , dessen Amtszeit im Januar in Brüssel endet, würde neuer Außenminister . Für seinen Kumpel Gabriel wäre der Weg zur Kanzlerkandidatur frei.

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