Russland sagt Kritikern den Kampf an
Moskau. Eigentlich hätten Russlands Parlamentarier schon längst in ihren Ferien sein sollen. Doch die "Dumzy", wie sie im Russischen genannt werden, sitzen weiter jeden Tag im grauen Sowjetklotz im Moskauer Zentrum und stimmen über umstrittene Gesetzesänderungen ab
Moskau. Eigentlich hätten Russlands Parlamentarier schon längst in ihren Ferien sein sollen. Doch die "Dumzy", wie sie im Russischen genannt werden, sitzen weiter jeden Tag im grauen Sowjetklotz im Moskauer Zentrum und stimmen über umstrittene Gesetzesänderungen ab. Sie peitschen sie geradezu durch und offenbaren so eine Fülle von chaotischen Versuchen, dem denkenden Volk das Denken zu verbieten.Auch heute werden sie auf die Knöpfe vor sich drücken - und in der zweiten Lesung wohl für die Verschärfung des NGO-Gesetzes stimmen. In der ersten Lesung vor wenigen Tagen hatten mehr als 70 Prozent die Änderungen abgenickt. Alle Nichtregierungsorganisationen (NGO), die vom Ausland finanzielle Mittel bekommen, müssen so, selbst auf dem Briefkopf, die Bezeichnung "ausländischer Agent" führen. Damit stempelt das Putinsche Regime vor allem Menschenrechtler zu Spionen ab.
"Dumzy", das klingt - zumindest im Russischen - nach "denken", nach "abwägen" und "beurteilen". Was die Duma-Abgeordneten in der verlängerten Sitzungsperiode aber nahezu täglich produzieren, ist, wenn nicht schon politisch dumm, so doch bedenklich und für die von Präsident Wladimir Putin stets hochgepriesene Stabilität des Landes gefährlich. 238 von 450 Abgeordneten gehören dabei der Kreml-Partei "Einiges Russland" an. Alles, was sie einbringt, geht nahezu unproblematisch durch und macht den harten Kurs des Kremls offiziell.
Vor Wochen erst war das Demonstrationsrecht verschärft worden, für die kleinsten Vergehen drohen nun Strafen von bis zu umgerechnet 25 000 Euro, das ist 150 Mal höher als bisher. Vom zehntausendfachen Protest hält es die Menschen dennoch nicht ab. Vor zwei Tagen beschlossen die Parlamentarier die erleichterte Sperrung von Internetseiten - zum Wohle von Kindern, wie es heißt. In der ersten Version hatte noch gestanden, die Ermittlungsbehörden könnten die Sperrung ohne Gerichtsentscheid veranlassen. Alles, was für die Kleinen schädlich sei, werde gesperrt. Was jedoch als "schädlich" zu verstehen ist, entscheidet der Staat. Das aber könnte auch die Berichterstattung über Oppositionsaktionen sein, befürchten die Kritiker des Gesetzes und sprechen bereits von "Zensur".
Nach Protesten - selbst das Internetportal Wikipedia hatte seine russischen Seiten unzugänglich gemacht - muss nun zumindest ein Beschluss vom Gericht vorliegen, wenn eine bestimmte Seite gesperrt werden soll. Das russische Justizsystem aber ist von Willkür und Korruption zerfressen, den Kampf dagegen führt der Staat lediglich in perfekt ausgearbeiteten Dokumenten.
Zudem kehrt das sogenannte Verleumdungsgesetz nach einer einjährigen Pause wieder zurück ins Strafgesetzbuch. Auch dafür hatten die Duma-Abgeordneten vor zwei Tagen in erster Lesung gestimmt. Damit vervielfachen sich die Strafen von umgerechnet 75 auf rund 12 500 Euro oder auf fünf Jahre Haft. Oppositionelle, Demonstranten, aber auch Journalisten fürchten nun, für jegliche Kritik am Staatsapparat als Verleumder angeklagt zu werden.
Alle Macht gehört dem Starken, propagiert Putin seit Jahren. Mit dem Anziehen der Daumenschrauben aber sorgt er dafür, dass die vermeintlich Schwachen nach Mechanismen suchen, sich zu schützen - und damit ebenfalls stark werden.