Russland-Kritiker gegen Russland-Versteher

Wiesbaden · Der Handel zwischen Deutschland und Russland floriert wie noch nie, doch die politischen Beziehungen sind so frostig wie seit Jahrzehnten nicht. Groß und öffentlich zu besichtigen war dieser Zwiespalt zuletzt beim Treffen von Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Hannover-Messe.

Zugleich streiten deutsche Russland-Experten heftig, was denn die richtige Politik gegenüber dem zunehmend autoritären Kurs in Moskau sei. Russland-Kritiker stehen gegen Russland-Versteher.

Einig sind die Lager nur im Erschrecken darüber, dass die Beziehungen sich so verschlechtern konnten. Bilateral sei der Ton ähnlich rau geworden wie in den russischen Beziehungen mit Polen oder den USA, warnte Hans-Joachim Spanger von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) am Wochenende in Schlangenbad bei Wiesbaden. In dem Taunuskurort treffen sich jedes Jahr Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter beider Seiten. Die Begegnung ist ein informeller Baustein der deutsch-russischen Beziehungen. Weil die Gespräche intern sind, kann Klartext geredet werden.

Spangers Ko-Gastgeber, der Ökonom Alexander Dynkin, sieht in Sachen anti-russischer Rhetorik eher Frankreich und Polen vorn. "Deutschland würde ich die Bronzemedaille geben." Mitveranstalter in Schlangenbad sind die Moskauer Vertretungen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Beide hatten in den vergangenen Monaten mit Überprüfungen durch russische Behörden zu kämpfen.

Die Ursachen für die Verschlechterung liegen nach Einschätzung von Experten zunächst in Moskau. Dazu zählen die umstrittene Duma-Wahl, Putins Rückkehr in den Kreml, das Vorgehen gegen die Opposition und der Würgegriff, in den die Nichtregierungsorganisationen genommen werden. Die Russland-Kritiker fordern eine klare Kante gegen diese Entwicklung. Tenor: Man muss einen autoritären Präsidenten einen autoritären Präsidenten nennen dürfen. Politisch bilden die Kritiker eine ungewöhnliche Koalition. Führende Grüne wie Volker Beck gehören ebenso dazu wie CDU-Abgeordnete. Der Beauftragte der Bundesregierung für den Kontakt zur russischen Zivilgesellschaft, Andreas Schockenhoff (CDU), sorgte im vergangenen Jahr für eine russlandkritische Resolution im Bundestag.

Doch auch die Russland-Versteher sind ein buntes Bündnis, zu dem die Wirtschaft und die SPD zählen. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist nicht weit von Moskau-Pragmatikern wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier entfernt. Auch die Russland-Versteher billigen den autoritären Kurs nicht. Doch mit übertriebener Rhetorik dürfe man das Erreichte nicht gefährden, sagen sie. Gemeint sind 80 Milliarden Euro Handelsumsatz im Jahr, die Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen sowie die Zusammenarbeit in internationalen Sicherheitsfragen. "Wandel durch Handel" ist ihre Hoffnung.

Der Streit der Lager wird auch öffentlich ausgetragen. So weigerte sich Ex-Botschafter Ernst von Studnitz, an einer Veranstaltung mit Schockenhoff teilzunehmen. Dessen Konfrontationskurs schade den Beziehungen. Schockenhoff konterte und warf von Studnitz "altes Denken aus der Zeit des Kalten Krieges" vor. Wie ein Neustart der Beziehungen aussehen kann, ist unklar. Vor der Bundestagswahl dürfte keine Partei diese Frage angehen.

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