Russischer Januskopf

Meinung · Angela Merkel hat Franz Müntefering verschluckt. Dmitri Medwedew hat sie stehen lassen, von Wladimir Putin sich gänzlich abgewandt. Sie gibt sich hölzern. Genau als solche wollen sie die Souvenirhändler auf den Moskauer Sperlingsbergen verkaufen. Als Matrjoschka, eine buntbemalte russische Schachtel-Puppe. Was drinsteckt, ist manchmal fraglich. Wie viel sie preisgibt, oft ein Rätsel

Angela Merkel hat Franz Müntefering verschluckt. Dmitri Medwedew hat sie stehen lassen, von Wladimir Putin sich gänzlich abgewandt. Sie gibt sich hölzern. Genau als solche wollen sie die Souvenirhändler auf den Moskauer Sperlingsbergen verkaufen. Als Matrjoschka, eine buntbemalte russische Schachtel-Puppe. Was drinsteckt, ist manchmal fraglich. Wie viel sie preisgibt, oft ein Rätsel. Genauso gestaltet sich das deutsch-russische Verhältnis. 66 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die Russland heute begeht, sind die einstigen Feinde Freunde geworden. Und doch bestimmt ein Auf und Ab die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau. Es ist auch heute noch eine "Ja, aber"-Konstellation - weil das Misstrauen zu stark ist.1955 beendet die Sowjetunion offiziell den Kriegszustand mit Deutschland. 10 000 deutsche Soldaten und 20 000 politisch inhaftierte Zivilisten kommen aus der sowjetischen Gefangenschaft. 1970 setzt Willy Brandt seine Unterschrift unter den "Moskauer Vertrag" und damit unter den Ausbau der Beziehungen "auf freundschaftlicher Grundlage und zu gegenseitigem Vorteil". 2010 spricht Wladimir Putin von einer "Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok". Strategische Partner wollen sie sein, die Deutschen und die Russen. Das sind sie längst - mit einem dicken Katalog strittiger Themen. Deutschland will russische Rohstoffe, aber bitte keine russische Rohstoff-Außenpolitik. Russland will visafrei nach Europa reisen, aber bitte die sinnlose Registrierungspflicht für Ausländer im eigenen Land - ein Relikt noch aus Sowjetzeiten - nicht abschaffen. Deutschland will mehr Transparenz und Menschenrechte. Das will Russland auch. Leider nur auf dem Papier. Meinungsfreiheit, ein Mehrparteiensystem und eine unabhängige Justiz, die diesen Namen verdienen? Fehlanzeige! Mag der russische Präsident seinen Kampf für die Demokratie ausfechten, auf der deutschen Seite bleiben Misstrauen und Vorsicht. Sie bleiben zu Recht.

Die Janusköpfigkeit des Landes spiegelt sich im russischen Wappenadler wieder. Der eine Kopf schaut nach Westen, der andere nach Osten. Auch die Regierung tut das, benutzt die Beziehungen zu China, um Europa unter Druck zu setzen, warnt aber die Chinesen, das Öl aus Ostsibirien genauso gut in den Westen fließen lassen zu können. Es sind die Muskelspiele einer kolabierten Großmacht.

Russland braucht Verbündete, nicht nur für die Modernisierung seiner veralteten Industriestruktur. Die Wirtschaftsbeziehungen bleiben zwar weiterhin das Herz der deutsch-russischen Zusammenarbeit. Investition aber verlangen nach Transparenz und Stabilität. Nicht nach einem Versteckspiel in der Art russischer Matrjoschkas.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort