Reif für die Krise

Immerhin, der Landgewinn der Populisten ist kein Naturgesetz. Zwar ging in Italien das Referendum über eine sehr komplexe Verfassungsänderung - wie allgemein erwartet - negativ aus. Aber die Österreicher sorgten mit der Wahl eines glühenden Europäers an die Staatsspitze für eine positive Überraschung. Das war nach dem Brexit und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten nicht unbedingt zu erwarten. Allerdings wäre es politisch blauäugig, sich deshalb nun bequem zurückzulehnen. Denn auch in Österreich hat fast jeder zweite Wähler auf nationale Abschottung gesetzt. Ein glänzender Sieg für liberale Demokraten sieht anders aus.

Angela Merkel wird deshalb mit gemischten Gefühlen auf die kommenden Monate blicken. Es geht ja nicht nur um das Schicksal ihrer Europa-Politik. Mit der Entscheidung in Italien könnte sich auch die wirtschaftliche Krise auf dem alten Kontinent wieder stärker bemerkbar machen. Mit den geplanten Verfassungsänderungen wollte Premier Matteo Renzi überfällige Reformen erleichtern und das Regierungssystem des Landes nachhaltig stabilisieren. Stattdessen regiert nun bis auf weiteres die Unsicherheit in Rom. Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen.

Für den Fall eines Wahlsieges hat die Euro-kritische "Fünf-Sterne-Bewegung" schon ein Referendum über den Verbleib Italiens in der Gemeinschaftswährung angekündigt. Ein Austritt ließe sich bei einem kleinen Land vielleicht noch verschmerzen. Aber Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone und mit einer Quote von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nach Griechenland das am stärksten verschuldete EU-Land. Die Banken leiden unter faulen Krediten, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt fast 39 Prozent. Eine politische Krise ist da so ziemlich das Letzte, was das Land und der Rest Europas jetzt gebrauchen können.

Mit Renzis beabsichtigtem Rücktritt wird Merkel zweifellos ein wichtiger europäischer Verbündeter verloren gehen. Das bringt auch neue Unwägbarkeiten in der Flüchtlingspolitik mit sich. Der Strom der Migranten über das Mittelmeer ist wieder stark angeschwollen. Aus dieser Situation dürfte die rechtspopulistische Lega Nord in Italien Kapital schlagen. Und auch in Österreich hat der populistische Vormarsch womöglich nur eine Pause eingelegt. Ein grüner Bundespräsident könnte einen späteren FPÖ-Kanzler sogar wahrscheinlicher machen.

Für die anstehende Bundestagswahl sind das keine guten Vorzeichen. Gelingt es den großen Parteien nicht, die Menschen von den Vorzügen Europas zu überzeugen und wachsende Abstiegsängste mit schlüssigen Argumenten und zielgerichteten sozialen Verbesserungen einzudämmen, dann wird sich auch Deutschland weiter polarisieren. Die AfD lauert darauf.

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