Regieren gegen das eigene Programm

Athen · Zwölf Monate voller Wirren und Schwierigkeiten liegen hinter dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras und seiner Links-Rechts-Regierung. Viele Herausforderungen bleiben: Die drohende Pleite des Landes ist noch nicht abgewendet, die Gespräche mit den Geldgebern sind schwierig, die Flüchtlingskrise ist eskaliert.

Und Tsipras? Seit seinem ersten Wahlsieg, der sich heute jährt, hat er eine 180-Grad-Wende vollführt.

"Sobald wir an der Macht sind, werden wir das Sparprogramm beenden und die EU erneuern!", hatte Tsipras seinen Wählern versprochen. Auf der Suche nach Unterstützern machte er sich nach seinem Wahlsieg am 25. Januar 2015 - die Linkspartei Syriza kam damals auf 36,3 Prozent - zunächst auf den Weg zu seinen europäischen Wunschpartnern. Sie wollte er für eine "Front der Südländer" gewinnen. Doch die zeigten ihm die kalte Schulter. Die Verhandlungen mit der in Griechenland verhassten Troika - also den Europartnern, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) - überließ Tsipras zunächst seinem Minister Gianis Varoufakis. Der promovierte Spieletheoretiker trieb die Verhandlungspartner konsequent in den Wahnsinn. Das Kalkül des einstigen Duos Tsipras-Varoufakis, die Europartner würden Athen unbegrenzt unterstützen, um ein Zusammenbrechen der Währungsunion zu verhindern, ging nicht auf. Sie stellten im Mai 2015 die weitere finanzielle Unterstützung des Landes ein. Bald konnte Athen seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen, die Kassen waren leer.

Und plötzlich ging es Schlag auf Schlag: Varoufakis wurde als Verhandlungspartner abgezogen. Weil die Griechen aus Angst vor der Staatspleite Gelder in Milliardenhöhe ins Ausland überwiesen, führte Tsirpas Kapitalverkehrskontrollen ein. Mit einem Blitzreferendum ließ er seine Bürger über ein neues, von der EU diktiertes Sparprogramm abstimmen. Obwohl 61,3 Prozent der Griechen mit Nein stimmten, unterschrieb Tsipras im Juli in Brüssel das härteste Reformprogramm, das jemals auf dem Tisch gelegen hatte. Damit sicherte er Griechenland Finanzhilfen in Höhe von 86 Milliarden Euro.

Mit breiter Unterstützung im Athener Parlament wurde das Programm gebilligt. Aber der linke Syriza-Flügel wendete sich von Tsipras ab. Um die Abweichler loszuwerden, erzwang der mit seinem Rücktritt Neuwahlen, die er im September 2015 mit 35,5 Prozent gewann.

Seither regiert Tsipras wie gehabt in einer Koalition mit der kleinen rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen (Anel). Doch die härtesten Einschnitte stehen jetzt erst bevor: die umfassende Reform des Renten- und Sozialversicherungssystems sowie die Steuerreform. Gegen beide Vorhaben läuft die Bevölkerung Sturm. Hinzu kommt die Flüchtlingskrise - hier steht Tsipras in der Kritik, versprochene Registrierungszentren nicht eingerichtet und die EU-Außengrenze nicht ausreichend geschützt zu haben. Die Herausforderungen nehmen also kein Ende. Aber weil Syriza seit einem Jahr regiert, lud der Regierungschef für gestern zu einem großen Fest in eine Athener Sportarena. Und heute geht es dann weiter mit der Herkules-Aufgabe, das Mittlmeer-Land aus der Krise zu holen.

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