Raus aus dem Hinterzimmer

Meinung · Sie tagen mit dem Sektglas in der Hand, verpflichten ehemalige Politiker und lenken die Gesetzgebung weitaus stärker als jeder aktive Staats- oder Regierungschef. Dieses Vorurteil über Lobbyisten hält sich hartnäckig - weil es eben nicht völlig aus der Luft gegriffen ist

Sie tagen mit dem Sektglas in der Hand, verpflichten ehemalige Politiker und lenken die Gesetzgebung weitaus stärker als jeder aktive Staats- oder Regierungschef. Dieses Vorurteil über Lobbyisten hält sich hartnäckig - weil es eben nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Andererseits wäre eine praxisnahe, umsetzbare Abfassung von Richtlinien oder Verordnungen ohne Sachverstand von außen überhaupt nicht denkbar.Solange aus Einfluss keine Manipulation wird, ist dagegen nichts einzuwenden. Und noch nicht einmal die akribische Arbeit derer, die Parallelen zwischen Gesetzesvorlagen und den Stellungnahmen von Interessenvertretern aufdecken, kann da etwas für sich genommen Anrüchiges enttarnen. Denn ein sinnvolles Argument muss man nicht zwei Mal erfinden. Ein gesundes politisches System aber muss über jeden Verdacht erhaben sein, dass aus der Vertretung von Interessen interessengeleitete Beeinflussung wird. Der Schlüssel dazu heißt Transparenz - so weit wie irgend möglich. Wer dagegen verstößt, darf sich nicht wundern, wenn die Bürger sich von der Politik abwenden.

Die europäischen Institutionen stehen dabei unter besonderer Beobachtung, weil sie fast 80 Prozent der nationalen Gesetzgebung beeinflussen. Und weil sie einen Binnenmarkt für mehr als 500 Millionen Verbraucher regeln, für die es - wie bei der anstehenden Reform des Datenschutzes - um ihre verfassungsmäßig garantierte Freiheit und Selbstbestimmung geht. Es ist Unsinn, wenn einige da den Eindruck erwecken, die Interessen von Internet-Konzernen, Industrie, Banken oder Zeitungsverlegern seien grundsätzlich gegen den Verbraucher gerichtet. Die künftigen Regeln sollen Dienstleistungen ermöglichen, aber ihnen auch einen Rahmen setzen. Das macht eine Zusammenarbeit nötig, und die ist nicht per se unanständig. Vielmehr kommt sie den Bürgern zugute - zumindest dann, wenn der Gesetzgeber ebenso die Grenzen kennt wie der Lobbyist.

Brüssel hat lange mit fast naiver Gutgläubigkeit den Wirtschaftsvertretern Zugang zu den Verantwortlichen und zu allen Beratungen gewährt. Daran muss man nichts ändern, solange man offenlegt, wer wie an welchem Projekt beteiligt ist oder war. Die Transparenz-Initiative der EU, konsequent angewendet, könnte dafür ein geeignetes Instrument sein. Ein Lobbyisten-Register als Anhang zur Gesetzgebung würde zumindest zeigen, wer da seine Finger mit im Spiel hatte. Und es gibt weitere Instrumente, die mehr Vertrauen in die Unabhängigkeit von Gesetzgebern schaffen könnten. Eine politikverdrossene Öffentlichkeit muss diese allerdings auch wahrnehmen. Denn gerade auf EU-Ebene läuft Gesetzgebung heute sehr viel offener ab als in der Vergangenheit. Dennoch, bestehende Defizite müssen beseitigt werden. Die Vorurteile allerdings auch.

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