Putin, der Zyniker – oder: Jetzt wird es richtig ernst
Saarbrücken · Leider war es zu erwarten, zu befürchten sowieso: Der vereinbarte Waffenstillstand in der östlichen Ukraine existiert nur auf dem Papier. Die kalten und die heißen Krieger halten sich nicht an den mühsam ausgehandelten Beschluss von Minsk , sie schießen und töten weiter.
Der Mann, der das Schlachten und Zerstören im Donbass beenden könnte, heißt Wladimir Putin. Der Zyniker aus dem Kreml, geschult als KGB-Offizier, lässt sich derweil in Ungarn von seinem Bruder im Geiste feiern. Auch Viktor Orban, der von Demokratie und Pressefreiheit wenig hält, ist einer der geistigen Brandstifter, weil er Putins politische Methoden klammheimlich bewundert und offen lobt.
Die zynischen Verfechter der "gelenkten Demokratie ", wie die Diktatur der Macht euphemistisch genannt wird, gehen über Leichen, um ihre strategischen Ziele zu erreichen und ihre Einflusssphäre zu sichern und auszubauen. Sie purzeln mit ihrer demonstrativen Machtpolitik zurück in die 50er und 60er Jahre, als Moskau meinte, Budapest und Prag mit Panzern zur Räson bringen zu müssen. Putin träumt auch tagsüber von "Neurussland", also einem neuen Zarenreich unter seiner Führung. Der kleine Mann, der auch persönlich unter Minderwertigkeitskomplexen leidet, hat es nie verwunden, dass "der Westen" ihm und der Atommacht Russland den Respekt versagt und stattdessen ungeniert versucht, seinerseits den Einfluss von Nato und EU sukzessive zu erweitern. Mit diesem Empfinden hat er sogar Recht, denn sowohl die USA als auch "Brüssel" haben Russland gern ein bisschen von oben behandelt und zuweilen die gleiche Augenhöhe verweigert. Das darf aber kein Grund dafür sein, die seit jeher unterjochten Ukrainer mit Krieg büßen zu lassen und sie erneut zu demütigen, indem Moskau jetzt Kiew nicht ernst nimmt.
Die Karre ist total verfahren, aber nun, nach dem erfolglosen Gezeter von Minsk , in das "der Westen" absolut involviert ist, wird es eng: Vor allem für Bundeskanzlerin Angela Merkel , die sich wie niemand sonst auch persönlich für den Frieden engagiert hat. Aber auch für den französischen Präsidenten François Hollande , der wie andere Europäer mit im Boot sitzt - und natürlich für US-Präsident Barack Obama . In Amerika stehen die Waffen für Kiew schon fertig gepackt, die Falken im Kongress fordern vehement ein "starkes Signal" von Obama, auch um jene Kraft und Herrlichkeit zu demonstrieren, mit der sie schon die alte Sowjetunion klein gekriegt haben. Die Schlüsselworte heißen Wirtschaftskrieg und Hochrüstung, denn nicht nur die Analysten in Washington prophezeien, dass Moskau finanziell nicht mithalten kann, wenn es ernst wird.
Putin weiß das, auch wenn er es vielleicht verdrängt. Er weiß auch, dass die westlichen Demokratien zögern und moralische Bedenken haben, bevor sie die Waffen sprechen lassen. Deshalb reizt er extrem hoch. Doch langsam müssen sich die USA und Europa fragen, wie lange sie ihr Konzept der "strategischen Geduld" noch strapazieren wollen. Putins kaltblütiges Vorgehen hat einen Prozess der Verunsicherung in Gang gebracht, der den gesamten osteuropäischen Raum erfasst. Bevor der Albtraum "Point of no return" kommt, muss deshalb wirklich alles versucht werden, um Moskau zum Einlenken zu bewegen. Das geht - noch - ohne Waffen, mit echten Sanktionen (Ausschluss "Swift", Boykott der Fußball-WM, Flugverbote etc.). Die bitteren Erfahrungen des letzten Jahrhunderts zeigen, dass zu langes Abwarten in der Katastrophe münden kann. Dazu darf es nie wieder kommen.