Putin bläst wieder zur Jagd auf einen Unbequemen

Moskau · Schon wieder muss sich Russlands führender Oppositionspolitiker auf einen Prozess vorbereiten: Das mächtige Ermittlungskomitee des Landes bezichtigte Alexej Nawalny und seinen Bruder Oleg offiziell des Betrugs und der Geldwäsche. Sie sollen in den Jahren 2008 bis 2011 die russische Tochter des französischen Kosmetik-Konzerns Yves Rocher um 26 Millionen Rubel (rund 600 000 Euro) betrogen haben, ein weiteres Unternehmen um vier Millionen Rubel.

Ferner sollen sie illegales Geld im Wert von 21 Millionen Rubel "gewaschen" haben. Bei einer Verurteilung drohen den Brüdern bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Die neue Anklage kommt nur knapp zwei Wochen nach dem Spruch des Berufungsgerichts in Kirow, 900 Kilometer östlich von Moskau. Die Richter setzten die fünfjährige Haftstrafe, die Nawalny im Juli wegen angeblicher Unterschlagung erhalten hatte, zur Bewährung aus. Sowohl den Schuldspruch als auch das Aussetzen des Urteils betrachten Beobachter als politisch motiviert.

Just am Tag der neuerlichen Anklage gegen den populären Kreml-Kritiker war dessen Anlauf gescheitert, eine Initiativgruppe für eine "Bürgergesetzgebungs-Initiative" offiziell zu registrieren. Das ist der erste Schritt, um in einer Art Volksbegehren Unterschriften für eine Gesetzesinitiative zu sammeln. Es geht um ein Thema, das viele Moskauer nachhaltig beschäftigt, da die Zentralheizungen trotz vergleichsweise milder Temperaturen bereits mit hoher Leistung laufen: ihre Nebenkostenabrechnung. Nawalnys Plan war, die Monopol-Unternehmen vor jeder Nebenkostenerhöhung zu einer Wirtschaftsprüfung zu verpflichten. Der Vorstoß wurde vom Moskauer Stadtparlament abgeschmettert, weil das Thema nicht in seine regionale Gesetzgebungs-Kompetenz falle. Für Nawalny eine vorgeschobene Begründung: In Wahrheit seien die intransparenten Energie-Tarife eine sprudelnde Quelle zur Bereicherung der Regierungspartei "Einiges Russland". Für sie hat der Jurist den Slogan "Partei der Gauner und Diebe" geprägt.

Der Aufstieg Nawalnys zur Galionsfigur der einst zersplitterten russischen Opposition begann im Internet, als Blogger. Der heute 37-Jährige verschaffte sich zunächst durch das Aufdecken von Korruptionsfällen Ansehen in der Bevölkerung. In diesem Sommer wurde er als oppositioneller Kandidat zur Direktwahl des Moskauer Bürgermeisters zugelassen. Amtsinhaber Sergej Sobjanin persönlich soll sich dafür eingesetzt haben, dass Nawalny nur einen Tag nach seiner Verurteilung im Juli vorläufig auf freien Fuß kam. Der Grund: Sobjanin war an einem starken Gegner im Wahlkampf interessiert, um seine eigene Wiederwahl zu legitimieren. Den starken Gegner sollte er bekommen. Nach einem furiosen Rennen holte Nawalny im September 27 Prozent der Stimmen - weit mehr, als die Prognosen vorhergesagt hatten.

Bereits den ersten Prozess im Sommer hatte der populäre Aktivist als Versuch von Präsident Wladimir Putin bezeichnet, ihn politisch kaltzustellen. Die Affäre sei erfunden worden, um ihm Angst zu machen. Gelungen ist das offensichtlich nicht.

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