Analyse Punktsieg für Erdogan: Besuch im Weißen Haus

Washington/Istanbul · Der bislang letzte Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist den Menschen in Washington noch in Erinnerung: Dabei verprügelten seine Bodyguards im Mai 2017 vor der türkischen Botschaft in der US-Hauptstadt friedliche Demonstranten, was in Amerika Empörung auslöste.

An diesem Mittwoch ist Erdogan wieder in Washington, US-Präsident Donald Trump hat ihn ins Weiße Haus eingeladen. Gut einen Monat nach dem Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien ist das ein Triumph für Erdogan.

Nach dem international kritisierten Einmarsch hatte Trump der Türkei noch die wirtschaftliche Vernichtung angedroht. Dabei hatte Trump selber der türkischen Offensive den Weg bereitet, indem er nach einem Telefonat mit Erdogan US-Truppen aus dem Grenzgebiet abzog. Damit ermöglichte er den türkischen Angriff auf die Kurdenmiliz YPG, die die Türkei als Terrorgruppe einstuft. Aus Sicht der USA stellten dagegen die YPG-geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) die Bodentruppen, um der Terrormiliz IS deren „Kalifat“ zu entreißen.

Trump sah sich selbst von engsten Parteifreunden dem Vorwurf ausgesetzt, die verbündeten Kurden im Stich gelassen zu haben, und erntete einen Sturm der Entrüstung. Er ruderte zurück und verhängte angesichts seiner Drohungen verhältnismäßig weiche Sanktionen gegen die Türkei. Letztlich gelang es ihm, Ankara und die YPG zu einer Waffenruhe zu bewegen. Gelöst ist die Krise damit nicht. Und auch wenn Trump die Sanktionen wieder aufgehoben hat – dauerhaft vom Tisch sind Strafmaßnahmen der USA keineswegs.

Ohnehin schwelen zwischen Ankara und Washington eine Reihe von Problemen. So traf das Repräsentantenhaus nur zwei Wochen vor dem Erdogan-Besuch eine brisante Entscheidung: Es erkannte die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord an. Erdogan nannte die Entscheidung „die größte Beleidigung unseres Volkes“. Zwischenzeitlich stand sogar das Treffen mit Trump auf der Kippe.

Ein Dauerthema, das Erdogan wohl bewusst kurz vor seinem Washington-Besuch wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat, ist der Fall des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Gülen lebt im Exil in den USA und wird von Erdogan für den Putschversuch in der Türkei vom Juli 2016 verantwortlich gemacht. Vergangene Woche warf Erdogan den USA erneut vor, Gülen zu „verstecken“ – und er forderte, den 78-Jährigen an die Türkei auszuliefern.

Auch der Streit um das russische Raketenabwehrsystem S-400, das die Türkei im Sommer bezogen hat, ist noch nicht ausgestanden. „Wir sind sehr verärgert darüber“, sagte Trumps Nationaler Sicherheitsberater Robert O‘Brien noch am Sonntag und kündigte an, dass Trump Erdogan damit konfrontieren werde. Washington befürchtet, dass Russland über das empfindliche Radar des Waffensystems an Daten über die Fähigkeiten des US-Kampfjets F-35 gelangt. Ankara war Partner beim Bau des Kampfjets und wollte zahlreiche Flugzeuge kaufen. Wegen des Rüstungsdeals schlossen die USA die Türkei zwar aus dem F-35 Programm aus. Harte Sanktionen gab es bislang aber nicht.

Die Ende Oktober verabschiedete Resolution des Repräsentantenhauses sieht aber nicht nur Strafmaßnahmen wegen des türkischen Einmarschs in Nordsyrien vor – sondern ausdrücklich auch wegen des Kaufs des S-400-Raketensystems. Dass die USA der türkischen Wirtschaft durch Sanktionen erheblichen Schaden zufügen können, bewiesen sie im Sommer 2018. Trump verhängte damals Strafen, um den in der Türkei inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson freizubekommen. Die türkische Lira brach daraufhin ein.

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