Provokation aus Prinzip

Erbarmungswürdig nennt Wolfgang Schäuble den Vorstoß von Sigmar Gabriel , ein soziales Rettungspaket für die eigene Bevölkerung zu schnüren. Der Begriff passt auch in anderer Hinsicht: Die große Koalition selbst ist in einem erbarmungswürdigen Zustand.

Ihr Erscheinungsbild wird immer miserabler. Die Nachrichten der letzten Tage lassen jedenfalls Zweifel daran aufkommen, ob es Union und SPD noch ernst ist mit dem gemeinsamen Regieren.

Selbst CSU und CDU gehen wechselseitig auf Abstand. Weil Horst Seehofer bei Angela Merkel kein Gehör mit seinen Katastrophen-Szenarien zur Flüchtlingsdebatte findet, kassiert er kurzerhand zwei Gesetze, die längst beschlussreif waren: die Vorlagen zu Erbschaftsteuer und Werkverträgen. Obwohl es dafür zuletzt sogar aus der Wirtschaft Zustimmung gab. Das zeigt, dass es der CSU nicht um die Sache geht, sondern um Provokation aus Prinzip. In diese Kategorie fällt auch Seehofers verweigerte Antwort auf die Frage, ob die CSU eine weitere Kanzlerkandidatur Merkels unterstützen würde. Als ob dafür bei der Union irgendjemand anders in Sicht wäre. Wer Merkel übrigens dieser Tage begegnet, stellt fest, dass von Verzagtheit oder gar Amtsmüdigkeit keine Rede sein kann. Trotz aller Anfeindungen und trüber Aussichten, das Flüchtlingsproblem auf ihre Art - also europäisch - lösen zu können.

Und die SPD ? Sie ist erst Recht in einem erbarmungswürdigen Zustand. Wenn Gabriel jetzt seine soziale Ader entdeckt, mutet das wie ein verzweifelter Hakenschlag an, um kurz vor den wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg , Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt für seine Partei zu retten, was kaum noch zu retten ist: Glaubwürdigkeit und Kompetenz. Als ob es Kinderarmut und erste Signale eines schwieriger werdenden Auskommens im Alter nicht schon vor der Flüchtlingswelle gegeben hätte. Die SPD selbst hatte übrigens die schrittweise Absenkung des Rentenniveaus beschlossen, als sie noch mit den Grünen in der Regierung saß. Und als der Arbeitnehmerflügel dem vor fünf Jahren bei einem Bundesparteitag ein Ende setzen wollte, ging Gabriel persönlich in die Bütt, um den Vorstoß abzuwenden. Sein Sinneswandel muss für viele Sozialdemokraten jetzt wie Hohn klingen.

Vielleicht auch deshalb sieht sich Gabriel nun sogar genötigt, für den Fall krachender Wahlniederlagen in Stuttgart, Mainz und Magdeburg seinen Verbleib im Chefsessel der Partei zu beschwören. Auch das zeigt, wie schlecht es um die SPD bestellt ist. Sie bräuchte ein Rettungspaket in eigener Sache.

Hat Schwarz-Rot die Kraft, sich doch noch zusammenzuraufen? Die Fakten sprechen dafür, dass die gegenseitigen Anfeindungen noch zunehmen könnten. Für einen Dauerwahlkampf ist es aber rund eineinhalb Jahre vor dem nächsten bundesweiten Urnengang eindeutig zu früh.

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