Proteste in Chile, Bolivien, Ecuador Krise trifft in Südamerika linke und rechte Regime

New York · Chile gehört zu den reichsten Ländern der Region, Haiti ist das ärmste. Ecuador hat eine gemäßigte Regierung, Bolivien eine sozialistische. Doch trotz aller Unterschiede gingen in den vergangenen Tagen Menschen von Port-au-Prince bis Santiago auf die Straße.

Bei einer Welle von Protesten quer durch Lateinamerika und die Karibik forderten sie einen grundlegenden Wandel. Doch was treibt die Demonstranten an, die Tausende Kilometer voneinander entfernt in Ländern mit ganz unterschiedlicher Politik, Wirtschaft, Kultur und Geschichte leben?

 Eine wichtige Gemeinsamkeit: Alle der rohstoffreichen Staaten erlebten in der ersten Dekade des Jahrhunderts ein oft schwindelerregendes Wachstum, gefolgt von einem Einbruch oder Stillstand infolge sinkender Exportpreise. Selbst Haiti, dessen Wirtschaft weitgehend stagniert, profitierte zunächst von Milliardenhilfen aus dem ölreichen Venezuela, die dann aber versiegten.

Das Muster aus Boom und Flaute ist gefährlich für wenig agile Staatschefs. Denn es führt zu einer Vergrößerung der Mittelschicht und schafft Staatsbürger, die sich berechtigt und imstande fühlen, mehr von ihren Regierungen zu verlangen. Und es verstärkt das Gefühl der Benachteiligung für diejenigen, die nicht am Aufschwung teilhaben. Der weltgrößte Kupferproduzent Chile etwa erlebte vom Jahr 2000 bis 2014 einen Boom, bevor das Wachstum nachließ. Heute verdienen die Einwohner im Durchschnitt 1023 US-Dollar (920 Euro), was vielen kaum zum Bezahlen ihrer Rechnungen reicht. Dann kündigte die Regierung Preiserhöhungen für U-Bahn-Tickets an. Für Tausende Chilenen brachte dieser Schritt das Fass zum Überlaufen. Am Mittwoch kam es den sechsten Tag in Folge zu Unruhen, mindestens 18 Menschen wurden getötet. 

Wie Chile erlebte auch das ölreiche Ecuador einen steilen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts, als sich der Preis für ein Barrel Öl auf mehr als 100 Dollar erhöhte. Präsident Rafael Correa ließ Flughäfen, Universitäten und vielspurige Autobahnen bauen. Dann brach der Ölpreis ein, und Ecuador stand vor Milliardenschulden. Correas Nachfolger Lenín Moreno nahm einen Drei-Jahres-Kredit in Höhe von 4,2 Milliarden Dollar vom Internationalen Währungsfonds IWF in Anspruch. Dieses Jahr verkündete er ein Sparpaket im Umfang von 1,3 Milliarden Dollar, das unter anderem die Abschaffung von Subventionen für Brennstoffe wie Benzin umfasste. Das löste Proteste aus, die von der gut organisierten indigenen Bevölkerung angeführt wurden. Moreno beendete die Proteste nach knapp zwei Wochen, indem er einer Rückkehr zu den Subventionen zustimmte. Experten sehen seine Position durch das Einlenken geschwächt.

Nicht viel besser sieht es im ohnehin verarmten Haiti aus. Seit dem Zusammenbruch der Wirtschaft in Venezuela, das zuvor über hochsubventioniertes Öl Milliarden ins Land gespült hatte, und dem Ende der internationalen Hilfen nach der Erdbebenkatastrophe von 2010 leiden die Menschen unter ständiger Benzinknappheit. Demonstranten fordern den Rücktritt von Präsident Jovenel Moïse.

Unter dem fallenden Gaspreis leidet auch Bolivien – nach 14 Jahren niedriger Inflation und starken Wachstums. Seit Betrugsvorwürfe gegen Präsident Evo Morales bei der Wahl vom Sonntag hinzukamen, gibt es nun auch hier im ganzen Land Protestaktionen.

Im Übrigen wird Argentinien am Wochenende wohl die Folgen der Wirtschaftskrise in Lateinamerika zu spüren bekommen. Der Konservative Staatspräsident Mauricio Macri, der sein Versprechen, die Armut zu verringern, nicht halten konnte, liegt in Prognosen hinter Alberto Fernández und seiner Vizepräsidentschaftskandidatin, Ex-Staatschefin Cristina Kirchner, von den linken Peronisten.

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