Brexit-Drama Die Luft für Theresa May wird immer dünner
London · Als Theresa May am Mittwoch an das Pult im Parlament trat, wirkte auf den ersten Blick vieles wie immer – und doch war alles ganz anders. Denn die britische Premierministerin, oft für ihre Widerstandsfähigkeit gepriesen, zeigte nicht nur Nerven, mit diesen scheint sie nun auch am Ende.
Sollte das die letzte Fragestunde der Regierungschefin werden? Wie lange würde sie sich noch gegen die Kritik der parteiinternen Rebellen wehren können, die lautstark ihren Rücktritt fordern und Nachfolger in Stellung bringen?
Erst am Dienstag hatte May ihre Pläne für einen „neuen kühnen Brexit-Deal“ konkretisiert und dafür einen Zehnpunkteplan präsentiert, der unter anderem die Möglichkeit zu einem Referendum über das Austrittsabkommen vorsieht. Doch dafür müsste der Vertrag, den May eigentlich in der ersten Juni-Woche zur Abstimmung stellen will, zunächst vom Parlament gebilligt werden. Das ist so gut wie ausgeschlossen. Falls die Regierungschefin die jüngsten Vorschläge als Zugeständnisse an Opposition und Brexit-Hardliner konzipiert haben mag, sozusagen als Befreiungsschlag im Brexit-Drama, dann ist ihr Versuch vollkommen gescheitert. Die Reaktionen fielen vernichtend aus. „Verzweifelt, verblendet, dem Untergang geweiht“, titelte der „Telegraph“ über einem Foto der Premierministerin. Ein Kabinettsmitglied ätzte, sie habe es immerhin geschafft, „etwas Schlechtes wahrhaftig noch schlimmer zu machen“. Doch nicht nur ihre Kollegen in der konservativen Partei schäumen vor Wut. Auch Labour lehnt Mays Plan ab. „Die Rhetorik mag sich geändert haben, der Deal ist derselbe“, schimpfte Oppositionsführer Jeremy Corbyn. Sie habe nur noch Tage im Amt, prophezeite er – und forderte Neuwahlen.
Kurz nach dem Beginn der traditionellen Fragestunde am Mittwoch schlüpfte beinahe unbemerkt Ex-Außenminister Boris Johnson in das Unterhaus und nahm in der hintersten Reihe Platz, vor ihm saß ausgerechnet der Vorsitzende des einflussreichen 1922-Kommittees der Tories, das unter anderem für die Abwahl des Parteichefs zuständig ist. Derzeit wird darüber spekuliert, ob das Gremium die Regeln ändern wird, um ein baldiges Misstrauensvotum gegen May anzuberaumen. „Wir haben den Wendepunkt erreicht“, sagte ein Mitglied gegenüber Medien. Eigentlich kann ein solches Votum nur alle zwölf Monate stattfinden und erst im Dezember misslang ein Putschversuch der Hardliner. Doch es ist der Brexit-Wortführer Johnson, der bald an Mays Stelle in der Downing Street residieren will und je nach Stimmung auch gerne dem ungeregelten EU-Austritt huldigt. An der konservativen Basis genießt er große Popularität und gilt als Favorit, auch wenn er innerhalb der Fraktion weniger beliebt ist. Die entscheidet jedoch aus einem Pool von Kandidaten in mehreren Abstimmungen darüber, welche zwei Kandidaten in den Wettbewerb gehen. Erst dann werden die Mitglieder befragt.
Beobachter vermuten, dass May den Weg ebnen will für einen Nachfolger, der – anders als Boris Johnson – eine softere Brexit-Variante bevorzugt. Aufgrund der Spaltungen innerhalb der Tories ist jedoch die Chance eines ungeordneten Austritts ohne Deal wieder gestiegen. Das erwartete Debakel für die Konservativen bei den Europawahlen – die Briten wählen schon diesen Donnerstag – dürfte kaum für Entspannung sorgen. Sicher auch nicht, dass die britische Unterhausvorsitzende Andrea Leadsom nun aus Mays Kabinett zurückgetreten ist. Sie glaube nicht mehr daran, dass der Kurs der Regierung zur Umsetzung des Brexit-Referendums über den Austritt Großbritanniens aus der EU führen werde, erklärte die Tory-Abgeordnete am Mittwochabend über Twitter. Die überzeugte Brexit-Befürworterin war für die Beziehungen zum Unterhaus zuständig.