Polizeireform in den USA Das überholte Phänomen der „blauen Allmacht“

Washington · Es war Barack Obama, der den Finger mit klaren, nüchternen Worten in die Wunde legte. Die Massenproteste nach dem Tod George Floyds, sagte er, seien Ausdruck echter, legitimer Enttäuschung angesichts jahrzehntelang gescheiterter Versuche, die Polizei zu reformieren.

 Demonstranten der Black Lives Matter-Bewegung fordern eine Polizeireform in den USA.

Demonstranten der Black Lives Matter-Bewegung fordern eine Polizeireform in den USA.

Foto: dpa/Scott G Winterton

Obama, der im Amt unter allen Umständen den Eindruck vermeiden wollte, als sei er in erster Linie der Präsident schwarzer Amerikaner, hatte allerdings selber Jahre gebraucht, um in die Offensive zu gehen. Es bedurfte der schweren Unruhen, die von tödlichen Polizistenschüssen auf den schwarzen Teenager Michael Brown im Sommer 2014 in Ferguson ausgelöst wurden, um ihn aus der Deckung kommen zu lassen. Eine von ihm gebildete Taskforce empfahl, verstärkt Polizisten mit schwarzer und brauner Haut einzustellen und intensiver zu üben, wie einem Rasterdenken begegnet werden kann, das junge Afroamerikaner und Latinos von vornherein einem Generalverdacht aussetzt. Umgesetzt aber müssen Reformen auf lokaler Ebene, denn die 18 000 örtlichen Polizeibehörden handeln weitgehend autonom, ohne sich an das halten zu müssen, was an Richtlinien aus dem Weißen Haus kommt. Ob die Causa Floyd einen Wendepunkt markiert, bleibt also abzuwarten.

Geht es nach den Demokraten im Kongress, sollen Gesetze verabschiedet werden, nach denen Polizisten leichter verklagt werden können, wenn sie unverhältnismäßige Gewalt anwenden. Eine nationale Datenbank soll all jene erfassen, gegen die Beschwerden wegen Fehlverhaltens eingegangen sind. Damit will man verhindern, dass schwarze Schafe einfach in eine andere Stadt wechseln, wo sie weitermachen können wie bisher. Der Würgegriff, bis heute vielerorts praktiziert, soll verboten werden. Manches sehen die Republikaner ähnlich, anderes geht ihnen zu weit, vor allem das Schleifen der juristischen Schutzmauer, die Klagen gegen die Beamten derzeit immens erschwert.

Jene „qualified immunity“ geht zurück auf eine 1967 getroffene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, nach der Staatsdiener in Ausübung ihres Berufs grundsätzlich vor negativen finanziellen Folgen zu bewahren sind. Später weiter untermauert, bedeutet sie in der Praxis, dass Bürger oft kaum eine Chance haben, wenn sie rechtlich gegen Polizisten vorgehen wollen. Nur wenn diese „eindeutig inkompetent“ handeln oder wissentlich Paragrafen verletzen, können sie, so ein Urteil des Supreme Court von 1986, verklagt werden. Sonia Sotomayor, Verfassungsrichterin mit lateinamerikanischen Wurzeln, sprach einmal in aller Offenheit von einem Konzept, das den Uniformierten signalisiere, dass sie „zuerst schießen dürfen und erst dann nachdenken müssen“. Ebenso schnörkellos lehnt Tim Scott, der Wortführer der Konservativen, jegliche Abstriche an der „qualified immunity“ ab. Sie aufzuweichen, das wäre, als würde man eine Giftkapsel schlucken, warnt der schwarze Senator aus South Carolina.

Vieles von dem, was an Ideen kursiert, ist nicht wirklich neu. Jacob Frey, der Bürgermeister von Minneapolis, ein Demokrat, hat das Ziel ausgegeben, die Polizeikräfte seiner Stadt so aussehen zu lassen wie die Bevölkerung, der sie zu dienen haben. Das bedeute, mehr Afroamerikaner und Hispanics zu rekrutieren, wiederholt er eine Forderung, die schon nach Ferguson die Debatten bestimmte. Skeptiker wenden ein, es sei nicht damit getan, die Demografie einer Stadt in der ethnischen Zusammensetzung ihrer Polizei abzubilden. Vielmehr gelte es, das Phänomen der „blauen Allmacht“ anzugehen: das Gefühl, dass jemand, der eine blaue Uniform trägt, die Menschen, deren Freund und Helfer er sein sollte, auf bisweilen provokante Art seine Macht spüren lässt.

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