Politisches Beben in Berlin

Meinung · Ein Politikertypus geradeaus, aufrecht, ehrlich. Das ist Winfried Kretschmann, das sind, aufs Ganze betrachtet, die Grünen. Sie mussten sich nie verbiegen beim Atom und bei der Umwelt. Wenn sie jetzt die Macht im Ländle übernehmen, ist das mehr als verdient. Sie sind die neuen Konservativen, die, die die Schöpfung bewahren wollen

Ein Politikertypus geradeaus, aufrecht, ehrlich. Das ist Winfried Kretschmann, das sind, aufs Ganze betrachtet, die Grünen. Sie mussten sich nie verbiegen beim Atom und bei der Umwelt. Wenn sie jetzt die Macht im Ländle übernehmen, ist das mehr als verdient. Sie sind die neuen Konservativen, die, die die Schöpfung bewahren wollen.So verdient wie der grüne Wahlsieg ist die christdemokratische Niederlage. Das war eine Wahl gegen die Hybris einer Partei, die sich als Erbpächterin der Macht dünkte. Und es war eine Wahl gegen Stefan Mappus persönlich. Erst Stuttgart 21 durchknüppeln, dann sich hinter Heiner Geißler verstecken. Erst die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern, dann die Sofortabschaltung verlangen. Das war allzu wendehalsig. Mappus hätte eine Chance gehabt. Wenn er wenigstens ein einziges Mal gesagt hätte: Ich habe die Bilder aus Japan gesehen, ich habe mich geirrt. Konnte er nicht, wollte er nicht. Hat übrigens auch Angela Merkel nicht gesagt.

Die SPD, das sind eher die kleinen Wendehälse. Bei Stuttgart 21: Ja, nein, Volksabstimmung. Beim Atom Anhängsel der Grünen. Und auf ihren ureigensten Feldern, Soziales, Arbeit, Bildung? Immer schwankend zwischen Reformlust und Reformfrust. Nur noch Junior-Partnerin einer vermeintlichen Kleinpartei, das ist ein Desaster. Dass Kurt Beck in Rheinland-Pfalz mit einem blauen Auge davon gekommen ist, beantwortet die grundsätzlichen Probleme der Sozialdemokraten nicht.

Bleibt die FDP, wo auch ein Wendehals, Guido Westerwelle, versucht hat, auf der Friedenswelle zu surfen. Doch mit dem "Jein" zum Libyen-Einsatz geriet ihm das zur Farce. Die Metamorphose vom Steuer-Rebellen zum seriösen Vizekanzler ist ihm bisher nicht gelungen, so wie der ganzen Partei nicht der notwendige Image-Wandel. Die Liberalen sollten sich einmal fragen, welches ihrer Themen sie jemals in ein Ministerpräsidentenamt tragen könnte. Früher waren das die Bürgerrechte und die Bildung, heute ist da nichts mehr. Diesen Verlust an Substanz werden sie bereden müssen bis zum Mai, wenn Westerwelles Wiederwahl ansteht.

Landtagswahlen sind Landtagswahlen, Bundestagswahlen sind Bundestagswahlen. Mit diesen Worten wollte sich Angela Merkel schon im Vorfeld gegen die Auswirkungen dieses Wahlsonntags immunisieren. Es war ein rührender Versuch der Eindämmung. Der gestrige Wahlausgang wird Berlin zum Beben bringen, gerade weil es eine Wahl gegen eine Politik der bloßen, rein taktischen Machtabsicherung war. Und damit auch gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

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