Politik und Verbraucher im Dioxin-Dilemma

Berlin

Berlin. Am Ende reduziert sich der Dioxin-Skandal für die Verbraucher auf diese schlichte, aber existenzielle Frage: Kann man Eier, Hähnchen- und Schweinefleisch aus deutschen Landen noch ohne Gesundheitsgefährdung essen, ja oder nein? Nach der Kritik an ihrem Krisenmanagement ist Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner bei der Vorstellung ihres Aktionsplans bemüht gewesen, entschlossen zu wirken. Aber um die klare Beantwortung dieser wichtigsten aller Fragen hat sie sich wieder gedrückt. Stattdessen hantierte die Ministerin erneut mit Grenzwerten und Risikobewertungen. Die Verbraucher jedenfalls haben für sich längst entschieden, was sie von Aigners Unklarheit an dieser Stelle halten - sie reagieren mit Kaufzurückhaltung.Unmissverständliche Botschaften fehlen der CSU-Politikerin nach wie vor. Ihr Auftritt hat zudem gezeigt, in welchem Dilemma Aigner steckt. Ohne die Länder geht kaum etwas, und mit ihnen auch nur wenig wegen der verbissen gepflegten, föderalen Konkurrenzen. So ist in den letzten Tagen ein bizarres Spiel an Schuldzuweisungen und Streitereien darüber zu bestaunen, wer im Verlaufe des Dioxin-Skandals wann was zuerst vorgelegt hat, und wer schnell oder langsam gehandelt hat. Den Verbrauchern nutzt dieses Gezänk freilich nichts. Im Gegenteil. Wenn Bund und Länder die Verunsicherung der Menschen mit ihrem Hickhack noch verstärken, dann ist das ein Skandal im Skandal.

Nächste Woche bei der Agrarministerkonferenz wird sich zeigen, ob die Verantwortlichen beider Ebenen endlich bereit sein werden, wirklich wirksame Konsequenzen aus den Dioxin-Vorfällen zu ziehen. Es ist in diesem Zusammenhang übrigens kein guter Stil, wenn Renate Künast ihre Nachfolgerin so massiv attackiert. Das macht man als Ex-Ministerin nicht. Die Grüne steht zwar für die viel gelobte Agrarwende, aber auch sie hat kein lückenloses Kontrollsystem installiert. Aigners Aktionsplan, der auffällig dem vor Jahren schon verpufften Zehn-Punkte-Plan ihres Vorgängers Horst Seehofers ähnelt, beinhaltet jedenfalls gute Ansätze - die Zulassungspflicht für Futtermittelbetriebe, neue und systematische Kontrollen sowie deutlich mehr Einblicke für die Verbraucher gehören dazu. Nur muss die Ministerin jetzt zeigen, dass sie politisch genug Kraft besitzt, über die reine Ankündigung hinauszukommen. Bisher ist sie mehr durch die Ereignisse getaumelt. Es ist ihre erste wirklich große Prüfung im Amt. Versagt sie, wird es für sie tatsächlich eng werden.

Allerdings wäre es zu kurz gesprungen, nur Aigner oder die Politik in die Pflicht zu nehmen. Auch wenn der Verbraucher es nicht gerne hört: Er trägt ebenso Verantwortung für die immer wiederkehrenden Lebensmittelskandale. Billig sollen Nahrungsmittel sein, vor allem Fleisch; die Regale der Supermärkte sollen unbegrenzte Auswahl und Frische zu Niedrigpreisen bieten. Das konnte und kann nur durch die Industrialisierung der Landwirtschaft funktionieren, die der Panscherei, dem Medikamentenmissbrauch und der Tierquälerei letztlich die Tür geöffnet hat. Kein Verbraucher darf sich wundern, dass die Folgen dieses Systems auf seinem Teller landen.

Die Konsumenten müssen sich daher nach diesem Skandal fragen, was ihnen ihr Essen wert ist. Die Ministerin, welches agrarpolitisches Leitbild sie künftig verfolgen will. Und beide Seiten sollten nicht hoffen, dass die Zeit die Antworten von alleine liefert. Der nächste Skandal wartet schon.

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