Politik siegt über Vernunft

Es gibt zwei aktuelle Themen, die der Rede wert sind, viele Menschen zugleich aber zornig machen: Die Sommerzeit und die Pkw-Maut. Beide sind so notwendig wie dreiärmelige Pullover, aber das stört "die Politik" nicht besonders.

Und das ist die eigentlich interessante Dimension: Obwohl es für beide Themen keine echten Mehrheiten gibt, weder im Bundestags-Plenum noch im Volk, bleiben sie bestehen oder werden umgesetzt. Warum ist das so?

Nun, das merkwürdige Verständnis von Demokratie hat mit unserem parlamentarischen System und der politischen Systematik zu tun. Die große Koalition funktioniert wie jede Koalition nach dem Prinzip Kuhhandel: Wenn du dies bekommst, krieg' ich jenes. So hat die CSU bei den Koalitionsverhandlungen die Pkw-Maut in die Waagschale geworfen, um überhaupt etwas vorzeigen zu können daheim in Bayern. Dass die Abzocke auf den Straßen außer Ärger und Bürokratie nicht viel einbringt, spielt keine Rolle. Hauptsache, man kann zu Hause einen "Erfolg" vorweisen.

In krassem Gegensatz dazu steht die Nonchalance der Parteien bei der Sommerzeit. Da seit 1996 alle EU-Länder umstellen, fühlt sich in Berlin niemand zuständig für ein Thema, das zäher ist als Kaugummi. Seit Jahrzehnten wird über Sinn und Unsinn der Zeitumstellung gestritten, aber konkret bewegt sich: nichts. Zwar hat die CDU auf ihrem Parteitag vor einem Jahr beschlossen, sich für die Abschaffung der Sommerzeit "einzusetzen", auch weil die erhoffte Energie-Einsparung minimal ist, aber Papier ist bekanntlich geduldig. Auch das gehört zu Europa: Wer einmal getroffene Vereinbarungen revidieren will, braucht Nerven wie Drahtseile und einen langen Atem. Tatsächlich kann man sich gegenwärtig nur schwer vorstellen, wie die hellenistisch gestressten Europäer sich auf den Tagesordnungspunkt "Sommerzeit" einstellen. Und weil Kanzlerin Angela Merkel derzeit ganz andere Sorgen hat, dürfte die Zeitumstellung wie üblich auf der Strecke bleiben.

So nehmen die Dinge ihren Lauf. Am Freitag will der Bundestag über die Pkw-Maut abstimmen, nachdem gestern letzte Korrekturen vorgenommen wurden (die das System noch komplizierter machen). Die Mehrheit für die "Ausländer-Maut" ist gesichert, denn die SPD muss auch zähneknirschend zustimmen, weil sie "vertragstreu" bleiben will. Für die Opposition und andere Kritiker bleibt somit als letzte Hoffnung ausgerechnet Brüssel. Die EU-Kommission will prüfen, ob das Gesetz in Deutschland einseitig Ausländer benachteiligt, diese also diskriminiert. Obwohl dies auf der Hand liegt, wird das Gesetz in Berlin wohl erstmal verabschiedet werden. Denn es geht ja nicht um Vernunft - sondern um Politik.

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