Peter Bofinger Der Außenseiter verlässt die große Bühne

Berlin · „Er wird fehlen“, hat jemand bei Twitter geschrieben. Da hat Peter Bofinger zurückgetwittert: „Ich bin ja noch da.“ Gleichwohl ist der gestrige Donnerstag für den Würzburger Volkswirt ein tiefer Einschnitt gewesen.

 Peter Bofinger vertrat bei den Wirtschaftsweisen oft eine Minderheiten-Meinung.

Peter Bofinger vertrat bei den Wirtschaftsweisen oft eine Minderheiten-Meinung.

Foto: dpa/Arne Dedert

Nach 15 Jahren endete Bofingers Mitgliedschaft im Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen. In bestem Einvernehmen, wie der 64-jährige Uni-Professor betont. „Ich habe jetzt drei Amtszeiten hinter mir. Da ist doch ein Personalwechsel ganz normal.“

Niemand war so lange in dem fünfköpfigen Gremium zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wie er. An 15 Jahresberichten hat Bofinger mitgeschrieben. Häufig war er so etwas wie das Gesicht dieses elitären Zirkels, was daran lag, dass er sehr gut mit den Medien kann. Anderswo sind Pressestellen dazwischengeschaltet. Bofinger dagegen ist immer per Handy zu erreichen und gibt auf Journalisten-Anfragen schnell und kompetent Auskunft. Und das nahezu druckreif.

Dabei hat Bofinger in der wirtschaftswissenschaftlichen Zunft nie die Meinungshoheit gehabt. Denn anders als seine eher ordoliberal geprägten Kollegen fühlt sich der gebürtige Pforzheimer einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik verpflichtet. Er will also die Arbeitnehmer und ihre Einkommen stärken. Immerhin 52 Mal schrieb Bofinger deshalb ein „Minderheitsvotum“ in die Jahresgutachten. Dass so einer überhaupt in den Olymp der Wirtschaftsweisen aufsteigen konnte, liegt an einem ungeschriebenen Gesetz. Formal werden seine Mitglieder auf fünf Jahre vom Bundespräsidenten ernannt, aber informell haben auch die Gewerkschaften ein Vorschlagsrecht.

Bofinger, lange an der Uni des Saarlandes tätig, war ihr Mann. Fühlt man sich da als Außenseiter? „Am Anfang war ich sicher außerhalb des Mainstreams“, räumt Bofinger ein. Gemeint ist die Geburt der Agenda 2010, die er, anders als die allermeisten in der Branche, immer kritisch sah. „Hartz IV ist wie ein Bypass für einen Asthma-Kranken. Man mutet ihm viel zu, ohne dass es eine Lösung ist“, hatte er schon damals erklärt. Bei der „schwarzen Null“ schwamm Bofinger ebenfalls gegen den Strom. Oft hat er auch recht behalten: Der Mindestlohn erwies sich nicht als Jobkiller, wie von seinen Kollegen befürchtet. Und die ultralockere Geldpolitik von Zentralbankchef Mario Draghi hat auch ihr Gutes, weil damit eine nachhaltige Wirtschafts- und Finanzkrise abgewendet werden konnte. Auch über Hartz IV wird inzwischen wieder breit diskutiert. „Mittlerweile ist der politische Mainstream eher bei mir“, sagt Bofinger selbstbewusst.

In die Schublade der Gewerkschaften passt er allerdings nicht immer. Ebenfalls nicht in die der SPD. Für deren Rente mit 63 hat Bofinger kein Verständnis („hätte ich nicht gemacht“). Für die geplante Grundrente von Arbeitsminister Hubertus Heil genauso wenig. Dadurch würden „neue Ungerechtigkeiten“ geschaffen, so sein Argument. Man darf gespannt sein, wie sich sein potenzieller Nachfolger, der Berliner Ökonom Achim Truger, hier positionieren wird. Der 50-jährige Professor für Volkswirtschaftslehrer wurde bereits offiziell für den Posten nominiert – ebenfalls auf Anregung der Gewerkschaften.

Derzeit macht Bofinger Urlaub auf La Palma. „Phantastische Vegetation, ideal zum Wandern und nicht so furchtbar touristisch“, schwärmt er über die Insel. Und danach? „Ich mache das, was ich bisher gemacht habe: Uni-Arbeit, Diskussionen, Workshops und Vorträge.“ Und er will sich auch weiter politisch Gehör verschaffen. Als Ex-Wirtschaftsweiser dürfte das schwieriger werden.

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