Obama, zweite Chance

Meinung · Zweite Amtszeiten verlaufen für US-Präsidenten stets anders als geplant. Unabhängig von den hochfliegenden Reden, feierlichen Versprechungen und bedeutungsschwangeren Prognosen, die am Tag der Amtseinführung Äther und Zeitungsspalten füllen. Das wird auch in den kommenden vier Jahren bei Barack Obama nicht anders sein, der am Sonntag offiziell dafür den Eid ablegt

Zweite Amtszeiten verlaufen für US-Präsidenten stets anders als geplant. Unabhängig von den hochfliegenden Reden, feierlichen Versprechungen und bedeutungsschwangeren Prognosen, die am Tag der Amtseinführung Äther und Zeitungsspalten füllen. Das wird auch in den kommenden vier Jahren bei Barack Obama nicht anders sein, der am Sonntag offiziell dafür den Eid ablegt.Sicher gibt es Anhaltspunkte, die den Erwartungshorizont klarer abstecken. Schließlich haben die Amerikaner und die Welt schon vier Jahre erlebt, wie der erste schwarze Präsident im Weißen Haus regiert. Obama erwies sich als umsichtiger, abwägender, geduldiger und mutiger Führer. Einigen kam er zu vorsichtig, kompromissbereit und zaudernd daher. Andere halten ihn für zu verkopft, unpersönlich und ideologisch. Unterschätzen wird den zwei Mal mit klarer Mehrheit gewählten Präsidenten dagegen niemand mehr. Er hat bereits nach vier Jahren im Amt seinen Eintrag im Geschichtsbuch sicher. Innenpolitisch mit der Einführung der allgemeinen Krankenversicherung. Außenpolitisch mit dem Schlag gegen den Terrorfürsten Osama bin Laden und dem Ende des Kriegs in Irak. Wirtschaftspolitisch machte er sich verdient mit der Reform der Wall Street und der Abwehr einer großen Depression.

Baustellen bleiben aber die nachhaltige Erholung des Arbeitsmarkts, die Reform der Einwanderung, eine klimaverträgliche Energiepolitik, der Schuldenberg. Aber Obama muss in den kommenden vier Jahren auch eine Atommacht Iran verhindern, mit einem politisch nach rechts gerückten Israel klar kommen, das Verhältnis zu China gestalten und den Krieg in Afghanistan zu Ende bringen.

Vor allem aber hat er bisher kein Rezept gefunden, die Selbstblockade in Washington zu überwinden. Immerhin: In den vergangenen Wochen demonstrierte der wiedergewählte Amtsinhaber Bereitschaft, den verbohrten Radikalismus der konservativen Republikaner herauszufordern. Das lässt auch für die Zukunft in Washington einen neuen, selbstbewussteren Ton Obamas erwarten. Statt Kompromissen hinterherzujagen, die ihm die rechtspopulistische Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht gönnen will, dürfte der Präsident nun darauf setzen, die Kanzel seines Amtes intensiver zu nutzen und sich direkt an die Amerikaner zu wenden. Obama braucht sich dabei nicht um seine Wiederwahl zu sorgen. Das befreit ihn von falschen Rücksichtsnahmen. Andererseits verbleibt ihm nicht viel Zeit, in seiner letzten Amtszeit ehrgeizige Ziele zu erreichen. Spätestens nach den Kongresswahlen in zwei Jahren könnte er wie seine Vorgänger zu einer "lahmen Ente" werden. Deshalb muss er nun Prioritäten setzen und schnell zu Werke gehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort