Obama und der Fluch der zweiten Amtszeit

Washington · Barack Obama droht schneller zu einer „lahmen Ente“ zu werden, als er zu Beginn seiner zweiten Amtszeit geglaubt haben mag. Innerhalb weniger Tage verwandelte sich die ehrgeizige Agenda des US-Präsidenten für die nächsten vier Jahre zu einer fernen Erinnerung.



Auf der einen Seite kämpft Obama mit einem Skandal bei der Steuerbehörde IRS, unangenehmen Fragen zum Krisenmanagement der Regierung nach dem Terroranschlag auf die US-Botschaft in Bengasi, Schnüffeleien des Justizministeriums in den Telefon-Protokollen von Journalisten und nun auch noch Spannungen mit Russland nach der Festnahme eines mutmaßlichen CIA-Agenten. Auf der anderen Seite geht wenig von dem, was dem Präsidenten politisch wirklich am Herzen liegt, voran. Eine große Übereinkunft mit den Republikanern beim Thema Steuern und Staatsschulden erwies sich als Rohrkrepierer. Die erhoffte Reform der Waffengesetze scheiterte im Senat. Und die Überholung des Einwanderungsrechts der USA hängt auf unabsehbare Zeit in den zuständigen Komitees fest.

Obama wirkt bei alldem wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Überrascht. Unbekümmert. Untätig. Er verurteilt die Vorgänge beim IRS, das bei der Überprüfung der Gemeinnützigkeit von Organisationen systematisch konservative Gruppen schikaniert haben soll, als "ungeheuerlich" oder redet sich als "nicht zuständig" heraus. Als wäre er ein Zuschauer seiner eigenen Präsidentschaft. Doch Obama steht am Ruder. Es ist seine Regierung, in der all diese Dinge passieren.

Nach nur vier Monaten scheint der Präsident die Kontrolle über seine Agenda verloren zu haben. Bisher zum größten Teil ohne eigenes Zutun. Der Amoklauf von Newtown, der Anschlag beim Boston-Marathon oder die Krise in Syrien hat er sich genauso wenig ausgesucht wie den anhaltenden Blockadekurs der Republikaner im Kongress. Doch Obama ist nicht schuldlos an der Misere, in der er sich nun wiederfindet. Es reicht nicht, Frust zu ventilieren. Oder scheibchenweise mit Informationen herauszurücken. Das heizt nur die Paranoia seiner Gegner an, die unerwartet und unverdient Oberwasser haben.

Wenn er nicht aufpasst, ereilt Obama schneller der "Fluch der zweiten Amtszeit" als jeden seiner Vorgänger. Seit Dwight D. Eisenhower machten alle wiedergewählten Präsidenten im Weißen Haus dieselbe Erfahrung. Statt die eigene Agenda voranzutreiben, finden sie sich in der Defensive wieder. Im Fall Eisenhower war es das abgeschossene U2-Spionageflugzeug im sowjetischem Luftraum. Richard Nixon musste 1974 wegen Watergate den Hut nehmen. Ronald Reagan machte von 1986 an die Iran-Contra-Affäre zu schaffen. Bill Clinton durchlitt wegen der Lewinski-Affäre 1998 ein Amtsenthebungsverfahren. Und George W. Bush präsidierte über das Irak-Desaster und den Zusammenbruch der Finanzmärkte.

Den Amtsinhaber schon jetzt abzuschreiben, wäre allerdings verfrüht. Läuft Obama doch immer dann zur Hochform auf, wenn er unter Druck steht. Diese Qualität muss er jetzt durch entschlossenes Handeln unter Beweis stellen. Professor David Kennedy von der Stanford-Universität hat jedoch Zweifel. Jeder Fall für sich genommen, sei nicht mehr als ein Wadenbiss. Aber wenn genügend Enten zusammenkommen, können auch die einen zu Tode beißen.

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