Obama setzt weiter auf vorsichtiges Taktieren

Washington · Die Antwort des US-Präsidenten auf eine Reporterfrage am Dienstagnachmittag war eindeutig: Nein, die jüngste Verschärfung der Sanktionen gegen Russland angesichts der Vorgänge in der Ukraine sei kein Indiz für einen neuen "Kalten Krieg" der Supermächte.

Es handele sich vielmehr, dozierte Obama, "um einen sehr spezifischen Vorgang in Bezug auf den Unwillen Russlands zu erkennen, dass die Ukraine ihren eigenen Weg wählen kann".

Dieser Beschwichtigungsversuch Obamas überrascht zu einem Zeitpunkt, wo auch in Europa die Tonart gegenüber Wladimir Putin schärfer geworden ist. Doch Obama sieht die Ukraine offenbar als nur eines von vielen regionalen Problemen auf der Welt an. Dabei hatten das Pentagon und die US-Geheimdienste in den letzten Tagen bei ihren Vorwürfen gegen Moskau noch einmal nachgelegt. Zum einen, so hieß es, werde mittlerweile von russischem Boden aus auf Ziele in der Ostukraine gefeuert. Zum anderen habe Moskau durch Tests das 1988 geschlossene Abkommen zur Reduzierung nuklearer Mittelstrecken-Raketen verletzt. Und noch am Tag vor Obamas Aussage zum Stand des Verhältnisses zum Kreml hatte Generalstabschef Martin Dempsey formuliert, der Beschuss von ukrainischem Territorium von Russland aus verändere "die Sicherheitslage in ganz Osteuropa" und rufe Erinnerungen an 1939 wach.

Immer deutlicher wird nun, dass es offenbar eine starke Kluft zwischen dem Weißen Haus einerseits und dem Pentagon, den Geheimdiensten und Mitgliedern des Kongresses andererseits gibt, was die Bewertung des Verhältnisses zu Moskau angeht. Obama bleibt weiter der extrem vorsichtige Taktierer, der sich um nahezu jeden Preis den Weg zu einem kooperativen Miteinander offen halten will - eine Strategie, die manchmal Züge von Anbiederei trägt. So hatte der US-Präsident unmittelbar nach der Krim-Annexion unter anderem formuliert, es gebe für Moskau immer noch einen Ausweg aus diesem Dilemma. Diese kuriose Aussage klang damals so, als sehe Obama Russland und nicht die Ukraine und den Westen nach dem Landraub in der Defensive. Und auch am Dienstag vermied Obama peinlichst bemüht Formulierungen, die Moskau eine Mitschuld am Crash der "Malaysia Airlines "-Boeing geben könnten. Obwohl es mittlerweile längst überwältigende Hinweise gibt, darunter auch die Internet-Geständnisse von Rebellenführern zum Abschuss der Rakete und Aufnahmen des russischen Buk-Systems vor Ort, und die Tonart der amerikanischen UN-Botschafterin Samantha Powers und von anderen Regierungsmitgliedern wie Vize Joe Biden hier eine ganz andere Sprache sprechen.

Obama scheint sich mit seinen moderaten Tönen auch innenpolitisch zu isolieren, von der Kritik in den US-Medien einmal ganz abgesehen. Seine Aussage, Russland müsse mit "wachsenden Kosten" rechnen, wenn es die Situation in der Ukraine eskalieren lasse, kommentierte der Kolumnist Charles Krauthammer in der "Washington Post" so: "Ist über den Abschuss eines Zivilflugzeugs mit fast 300 Unschuldigen an Bord eigentlich noch eine größere Eskalation denkbar?" Und der Autor verweist mit kritischen Worten darauf, dass der Präsident am Abend dieses Vorgangs ungerührt gleich auf zwei Partys mit Parteifreunden in New York angestoßen und fröhlich gefeiert habe - so, als gebe es keine Krise im Verhältnis der Supermächte.

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