Niebels Rüstungs-Job zeigt Sittenverfall in der Politik

Berlin · Politiker leisten harte Arbeit. Sie sind oft bis spät am Abend und an Wochenenden berufsbedingt unterwegs, das Privatleben leidet.

Sie pendeln zwischen Saarbrücken und Berlin, zwischen Trier und Mainz. Sie müssen Präsenz im Wahlkreis, aber auch an ihren Parlamentsorten zeigen. Mit Glück und Beziehungen werden sie Minister oder Staatssekretäre. In ihrer Bezahlung orientieren sie sich an Richtern und Staatsanwälten. Anders als diese stehen Politiker aber unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Und nicht nur das: Mit dem Beschluss, in die Politik zu gehen, entscheiden sich diese Frauen und Männer - ob sie wollen oder nicht - auch dafür, moralische Vorbilder zu sein.

Die Bürger wollen zwar Politiker auf Augenhöhe. Gleichzeitig sollen diese die Werte unserer Gesellschaft verkörpern, als da sind: Charakterfestigkeit, Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit. Dass Ex-Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP ) nun zu Rheinmetall wechselt, widerspricht all diesen Tugenden. Sein Anheuern bei dem Rüstungskonzern ist unappetitlich, ja verwerflich, weil Niebel in der schwarz-gelben Merkel-Regierung selbst Entscheider im Sicherheitsrat war. Er löste mit dem Ja zu Rüstungsexporten sein Ticket in den hoch bezahlten Lobbyistenjob. Gewiss, Niebel ist nicht der Erste. Ex-Kanzler Gerhard Schröder ließ sich kurz nach dem Ausscheiden aus dem Amt indirekt vom russischen Gaskonzern Gazprom bezahlen - für die Begleitung des Nord-Stream-Projekts. Ex-Regierungschef Roland Koch wechselte samt seiner Kontakte zum Baukonzern Bilfiger-Berger, Staatsminister Eckart von Klaeden bekam einen Posten als Chef lobbyist beim Daimler-Konzern. Noch schamloser als Niebel wechselt Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla im Januar 2015 in den Bahn-Vorstand. Dort soll er jenen Wettbewerb im Schienenverkehr verhindern helfen, für den seine CDU als Marktwirtschaftspartei stets einsteht.

Pofalla straft damit die hehren Grundsätze seiner Partei Lügen und handelt gegen das Volk, das bei freiem Wettbewerb den Bahnverkehr billiger bekäme. Man weiß nicht, worüber man mehr staunen soll: über seinen Geschäftssinn oder seine Dreistigkeit. Den gut dotierten Posten in der Wirtschaft sehen die Wechsel-Promis ganz offensichtlich als eine logische Verlängerung ihres ausgelaufenen Mandats. Es scheint, als habe nicht einmal die Kanzlerin größere Bedenken. Sie weist in solchen Fällen lediglich auf eine Schamfrist hin. Demnach wären nicht die fließenden Übergänge vom Allgemeinwohl zum Eigeninteresse problematisch, sondern es ginge allein um die Optik.

Den Bürgern aber stinkt zunehmend, wie sich Sphären verwischen und Sitten verludern. Zu gerne sähen sie in den Volksvertretern ehrliche Makler ihrer Interessen. Die Promis auf der Gehaltsliste von Konzernen aber nähren den Verdacht, bei ihren Entscheidungen weniger ans Volk als an ihr Portemonnaie zu denken. Das alles führt zu Politik- und Politikerverdrossenheit. Die Politik sollte sich nicht mehr wundern, wenn die Menschen gegen eine "Mafia " aus Interessenklüngel aufbegehren. Es gibt ihn de facto, wie der Fall Niebel beweist. Ändern könnten das nur die Parlamentarier selbst. Durch schärfere Karenzregeln, vor allem aber durch persönlichen Anstand über ihr Mandat hinaus. Nur: Anstand kann man leider nicht in Gesetze fassen.

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