Nie war sie so wertvoll . . .

Man kann nicht sagen, dass Angela Merkel die Türkei bisher gut behandelt hat. Wie alle Konservativen in Europa hat sie Ankara mit seinem Begehren, EU-Mitglied zu werden, über Jahre hinweg am langen Arm verhungern lassen.

Freundlich im Ton, kalt in der Sache. Nicht nur der Staat, auch seine Bürger wurden zurückgestoßen, etwa bei der jahrelangen Ablehnung der Visafreiheit für türkische Reisende. Das war falsch. Denn die Türkei war auf dem Weg, sich politisch und kulturell dem Westen zu öffnen, als erstes großes islamisches Land. Ganz sicher gilt das für die junge Mittelschicht. Wirtschaftlich wuchs das Land ohnehin. Die Türkei hätte zugleich Brücke und Puffer zu den Unruhezonen Vorderasiens sein können. Doch man behandelte sie wie einen Paria. Wie töricht das war, zeigt sich jetzt.

Nicht dass Erdogans Aufstieg und sein autokratisches Regime sich allein aus den europäischen Fehlern erklären würde - aber ohne diese Fehler sähe es heute anders aus in der Türkei. Dann gäbe es wahrscheinlich auch den Kurdenkonflikt nicht in dieser Brutalität. Erdogan führt ihn als Ersatzkrieg, um seine innere Macht abzusichern. Angesichts der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten und angesichts der Flüchtlingskrise merkt der Westen nun, merkt auch Merkel, wie zentral die Bedeutung der Türkei für Europa ist. Wie sehr man das Land an seiner Seite bräuchte. Jetzt werden eilig neue Verhandlungskapitel mit der EU eröffnet, jetzt wird die Regierung hofiert wie gestern bei den deutsch-türkischen Konsultationen im Kanzleramt.

Aber: Jetzt steigen auch die Preise, und es wird glitschig. Drei Milliarden Euro und politische Zugeständnisse verlangt die Türkei dafür, dass sie Europa, vor allem den Deutschen, die Flüchtlinge vom Leib hält. Sie wird das nicht mit Mitteln des Sozialstaats tun. Was das für die syrischen Kriegsopfer bedeutet, kann man schon heute in Istanbul sehen, wo die Betroffenen ohne jegliche Versorgung sich selbst überlassen sind. Was die Türkei mit dem vielen Geld anfängt, wird ihre Sache sein.

Über Erdogans korrupte und gewalttätige Regierung wird sowieso weitgehend geschwiegen. Hauptsache, der Flüchtlingsstrom versiegt. Ankara soll für uns die Drecksarbeit erledigen und wird im Gegenzug mit seinem nationalen Taumel in Ruhe gelassen. Das ist vom europäischen Traum der Türkei geblieben. Es ist ziemlich erbärmlich.

Für den Moment mag ein solches Geschäft ja die einzige Möglichkeit sein, um zu verhüten, dass die EU im Streit um die Flüchtlinge auseinanderbricht. Doch hat dieser Deal den faden Beigeschmack eines modernen Ablasshandels. Geld gegen Gewissen. Er ist das Ergebnis einer großen politischen Kurzsichtigkeit im Umgang mit diesem Land, die noch immer anhält.

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