Nein zur Ukraine – oder doch zu ganz Europa?

Den Haag · Eine richtige Wahl ist das nicht, was da heute in den Niederlanden stattfindet. Aber doch eine Volksabstimmung. Und selbst die könnte ein kleines Beben auslösen. Obwohl es weder um den Oranje-Staat, sondern um die Ukraine geht.

Das mag etwas durcheinander klingen, ist es wohl auch für die 17 Millionen Einwohner zwischen Maastricht und Rotterdam, die heute über die Frage abstimmen sollen: "Sind Sie dafür oder dagegen, das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine gutzuheißen?"

Um die Wirren dieses Votums vollständig zu machen, muss man wissen, dass das Kabinett von Premier Mark Rutte dem Vertrag mit Kiew längst zugestimmt hat, aber mit dem Inkraftsetzen ebenso abwarten muss wie die übrigen 27 EU-Mitgliedern und die Ukraine selbst. Das liegt an Leuten wie Arjan van Dixhoorn, dem Vorsitzenden des Bürger-Komitees, das den Urnengang initiiert hat. "Ein Nexit-Referendum (also ein Votum über den Ausstieg der Niederlande aus der EU, d. Red.) ist bislang nicht möglich. Deshalb nutzen wir jede Gelegenheit, um die Beziehungen zwischen der EU und den Niederlanden unter Druck zu setzen", sagte er.

Unterstützung fand er schnell bei den Machern der Webseite "Geen Stijl" (kein Stil, kein Anstand), die bisher eher dafür bekannt war, derbe über Politiker aller Couleur herzuziehen. Beide fanden sich zusammen, nachdem die Regierung im Juli 2015 die Möglichkeit einer Volksabstimmung ins Gesetz geschrieben hatte: Mindestens 300 000 Stimmen sind notwendig, damit das Volk an die Urnen gerufen werden kann. Die Initiatoren schafften 472 849.

Heute müssen nun mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten auch ihre Stimme abgeben, um zu erreichen, dass die politische Spitze das Ergebnis, das lediglich "beratend" sein wird, ernst nimmt. Zumindest theoretisch wäre es möglich, ein "Nein" der Mehrheit zu übergehen. Doch damit tun sich die Verantwortlichen in Den Haag schwer. Deshalb bemühte sich Rutte, dessen Regierungsbündnis aus Rechtsliberalen, Sozialdemokraten, Christdemokraten, linken Grünen und Linksliberalen für die Annahme des Vertrages wirbt, die "unwahren Behauptungen und Lügen" der Gegner des Vertrages mit der Ukraine zu entlarven. Da war von "faschistischen Milizen" die Rede, die jeden Tag "durch die Straßen von Kiew marschieren". Mit dem Zerrbild von "offenen Grenzen mit einem Kriegsland" wurden Ängste geschürt. Dagegen hielt Rutte, dass das Abkommen keineswegs einen Beitritt der Ukraine zur EU festschreibt: "Die Niederlande sind auch dagegen. Wir haben ein Veto, mit dem wir das künftig verhindern können, sollte die Ukraine doch beitreten wollen."

Tatsächlich ist im Vertrag auf 326 Seiten weder von Geld noch freiem Personenverkehr die Rede - es geht stattdessen um Wirtschaftsfragen. Das ist für unsere Nachbarn wichtig, schließlich sind die Niederlande der fünftgrößte Investor in der Ukraine. Finanzminister Jeroen Dijsselbloem , im Nebenjob Chef der Euro-Gruppe , brachte noch ein anderes Argument: "Wir können unseren Verdruss über die EU oder über diese Regierung an der Ukraine auslassen. Oder wir können ein Land unterstützen, das die Zeiten von Oligarchie und Korruption hinter sich lassen will."

Wie die Niederländer sich heute entscheiden, ist offen. Wie es im Fall einer Mehrheit für die Ablehnung des Vertrages mit Kiew weitergeht, auch.

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