Nackte Tatsachen

Spätestens jetzt dürfte jedem klar sein, dass innerhalb der Bundesregierung die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin hochgradig umstritten ist - und womöglich sogar torpediert wird. Anders lässt es sich kaum erklären, wenn Innenministerium und BND die Türkei, Angela Merkels wichtigsten Bündnispartner bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, ohne Absprache mit dem Auswärtigen Amt als Terrorhelfer und "Aktionsplattform" des islamistischen Terrorismus einstufen.

Ob diese Einschätzung tatsächlich richtig ist, sei dahingestellt, aber um es flapsig zu formulieren: So blöd kann kein Beamter von Innenminister Thomas de Maizière oder des Bundesnachrichtendienstes sein, dass er nicht weiß, welche Wirkung solche Informationen entfalten. Deshalb rollt jetzt eine massive Welle der Kritik über Merkels Regierung und ihre Türkeipolitik hinweg, die noch größer ist als bislang schon. Und dass im Bundestag kaum mehr etwas geheim bleibt, auch wenn es als vertraulich eingestuft wurde, müsste sich selbst in den hintersten ministeriellen Ecken herumgesprochen haben.

Doch das alles ist gar nicht der entscheidende Punkt. Auch wenn die Regierung es immer wieder abstreitet - sie hat sich in der Flüchtlingskrise in die Hände des türkischen Präsidenten Erdogan begeben. Das ist Fakt. Deswegen tritt sie so zahm gegenüber Ankara auf, anders als beispielsweise Österreich. Vom Gelingen des Flüchtlingspakts hängt zu einem großen Teil das politische Schicksal der Kanzlerin ab. Merkel weiß das, ihre Berater wissen das. Es erklärt vor allem, warum man gemeinsame Sache macht mit einem Land, das den islamischen Extremismus eher fördert als bekämpft. So jedenfalls die Erkenntnisse des BND.

Politisch gesehen mag man so eine Kooperation schlichtweg Realpolitik nennen. Auch mit Saudi-Arabien, das bekanntermaßen ebenfalls den Terrorismus fördert und demokratische Werte mit Füßen tritt, werden Geschäfte gemacht bis hin zu Waffenlieferungen. Moralisch ist das überaus verwerflich, Realpolitik hin oder her. Besagten Widerspruch hat die teilweise Veröffentlichung der Regierungsantworten auf die Anfrage der Linken jetzt schonungslos deutlich gemacht. Sozusagen mit Brief und Siegel, das ist das eigentlich Neue.

Damit steht die Bundesregierung noch mehr unter Zugzwang, endlich Klarheit zu schaffen. Darüber, wie sie tatsächlich ihr Verhältnis zur Türkei sieht, welche Rolle sie dem Land und insbesondere dem autoritären Staatspräsidenten im Kampf gegen den Terrorismus zubilligt. Der Flüchtlingspakt darf nicht länger mit einem Schweigegelübde verbunden sein. Angela Merkel muss Klartext reden. Ansonsten wird ihre Türkeipolitik noch unglaubwürdiger, als sie ohnehin schon ist.

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