Nach dem Konflikt ist vor dem Konflikt

Paris. Seit Wochen legen Streiks das öffentliche Leben auf Guadeloupe und Martinique lahm, nun endlich ist ein Ende des Konflikts in den beiden französischen Übersee-Départements in Sicht. Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Regierung schlossen in der Nacht zu Freitag auf Guadeloupe ein Teilabkommen, das für Geringverdiener monatlich 200 Euro mehr Lohn vorsieht

Paris. Seit Wochen legen Streiks das öffentliche Leben auf Guadeloupe und Martinique lahm, nun endlich ist ein Ende des Konflikts in den beiden französischen Übersee-Départements in Sicht. Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Regierung schlossen in der Nacht zu Freitag auf Guadeloupe ein Teilabkommen, das für Geringverdiener monatlich 200 Euro mehr Lohn vorsieht. Die Hälfte der Gesamtsumme wird zunächst aus der Staatskasse beglichen.Der Kompromiss greift vorerst jedoch nur für rund 15 000 der insgesamt 85 000 Beschäftigten der Privatwirtschaft auf der Karibikinsel. Denn der größte lokale Arbeitgeberverband Medef hatte es abgelehnt, an den Verhandlungen teilzunehmen, und weigert sich nun ungeachtet des Drucks aus Paris, das erzielte Abkommen zu unterzeichnen. Auf der Nachbarinsel Martinique, wo es diese Woche mehrfach zu gewalttätigen Krawallen und Plünderungen gekommen war, zeichnet sich offenbar ebenfalls eine Lösung ab. Der Generalstreik, der Guadeloupe seit dem 20. Januar und Martinique seit dem 5. Februar blockiert, ist damit aber noch nicht beendet. Streikführer Elie Domota will zuvor eine Ausweitung des Abkommens auf alle Arbeitnehmer und eine Preissenkung für die wichtigsten Lebensmittel durchsetzen. Hintergrund der Proteste, die bislang ein Todesopfer forderten, ist das kolonial anmutende Wirtschaftssystem. Es ist noch immer fest in der Hand weniger reicher, weißer Familien. Obwohl sie nur einen Bruchteil der Bevölkerung ausmachen, gehört ihnen ein Großteil der Immobilien, der landwirtschaftlich genutzten Flächen und der Geschäfte. Die Arbeitslosenquote bei den Einheimischen ist mit mehr als 21 Prozent drei Mal so hoch wie auf dem französischen Festland. 20 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, müssen mit weniger als 600 Euro monatlich auskommen. Im Mutterland ist die Quote der Armen nicht einmal halb so hoch. Zudem erhalten die meisten Einheimischen auf den beiden Antilleninseln kaum mehr als den staatlich festgelegten Brutto-Mindestlohn von zurzeit 1321 Euro pro Monat. Beamte, aber auch Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft, die vom Festland entsandt werden, bekommen dagegen Gehaltszuschläge von 35 bis 40 Prozent. Ungeachtet dessen sind die Lebenshaltungskosten deutlich höher als im Mutterland. Fast alle Produkte werden aus Frankreich importiert, und die Einzelhandelsketten erheben einen kräftigen Preiszuschlag. Lebensmittel und andere gängige Verbrauchsartikel kosten auf Guadeloupe im Schnitt 35 Prozent mehr als auf dem französischen Festland. Während Forscher die koloniale Vergangenheit als Grund für den Konflikt sehen, ist dies nach jüngsten Umfragen nur für 13 Prozent der europäischen Franzosen und für gerade mal fünf Prozent der Bewohner von Guadeloupe die Ursache der Proteste. Das Unverständnis der Festland-Franzosen für die Anliegen der Insulaner dürfte nach der nun erzielten Einigung weiter steigen, weil die Pariser Regierung die vereinbarten Lohnerhöhungen für die betroffenen Arbeitnehmer mitfinanziert. In zahlreichen Internet-Foren beschweren sich Teilnehmer bereits darüber, dass Paris schon jetzt zu viel für Guadeloupe und Martinique zahle. In einer Umfrage für die konservative Tageszeitung "Le Figaro" sprach sich die Mehrheit der Franzosen sogar dafür aus, Guadeloupe in die Unabhängigkeit zu entlassen. Damit ist der nächste Konflikt bereits programmiert, denn 80 Prozent der Insulaner wollen bei Frankreich bleiben.

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