Moll statt Dur zu Silvester

Meinung · Den Abschied von 2009 müssten wir eigentlich feiern wie Bolle: Nix wie raus aus dem Tal der Tränen! 2010 kann es nur besser werden. Glaubt daran noch jemand? Kaum. Denn Firmenpleiten und Kurzarbeit haben die Menschen nicht nur materiell getroffen, sondern auch mental. Fortschritts-Skepsis und Zukunfts-Sorge sind an die Stelle der sonst üblichen Aufbruchstimmung zu Jahresbeginn getreten

Den Abschied von 2009 müssten wir eigentlich feiern wie Bolle: Nix wie raus aus dem Tal der Tränen! 2010 kann es nur besser werden. Glaubt daran noch jemand? Kaum. Denn Firmenpleiten und Kurzarbeit haben die Menschen nicht nur materiell getroffen, sondern auch mental. Fortschritts-Skepsis und Zukunfts-Sorge sind an die Stelle der sonst üblichen Aufbruchstimmung zu Jahresbeginn getreten. Silvester kracht es in Moll statt in Dur. Warum? 2009 hat die Menschen mit einer krassen Erkenntnis konfrontiert: Das "Platzen" der Finanzblase und die anschließend aus Steuergeldern finanzierten Millionen-Boni für die Banker lassen sich nicht mehr als kurzfristige Störfälle der freien Marktwirtschaft erklären. Sie sind vielmehr Systemfehler, nicht mehr durch den kleinen Polit-Reparatur-Betrieb abstellbar. Erst recht nicht durch ein staatliches Leben auf Pump. Nur mit rabiaten Eingriffen und einer "ideologischen" Schub-Umkehr wären Korrekturen erreichbar. Doch weil davon nirgendwo die Rede ist, hat der Finanz-Notstand der öffentlichen Kassen seine Legitimität eingebüßt, die Bürger verübeln ihn den Regierenden. Nicht nur dies erschüttert das Vertrauen in die Politiker, auch ihre Schwäche. Angesichts der Profitgier und Unfähigkeit der Manager-Kaste agierten sie weitgehend machtlos oder inkonsequent. Nicht zufällig stürzte die Beteiligung bei der Bundestagswahl auf ein historisches Tief. Krisen erzeugen nicht mehr, wie früher, Reformeifer, sondern Lähmung - und Veränderungs-Abwehr. 2009 hat überdeutlich gezeigt, wie hoch die Bürger Stabilität und Kontinuität schätzen. Ob der Insolvenz-Meldungen unzähliger Traditions-Unternehmen schien nichts erstrebenswerter, als das Alte festzuhalten: Rosenthal, Märklin, Woolworth, Schiesser, Quelle. Damit waren wir im vergangenen Jahr vordringlich beschäftigt. Doch kann man die Zukunft im Rückspiegel sehen? Diese Perspektiven-Verengung erklärt unter anderem auch die merkwürdig gedämpfte Atmosphäre im Saarland, obwohl die bundesweit erste Jamaika-Regierung doch als "Modernisierungs-Projekt" gilt. Frohgemute Zuversicht? Nirgends. Sicher: Ein fast ganzjähriger Wahlkampf-Marathon hat bei den Politikern Erschöpfung hinterlassen. Doch zusätzlich auch beispiellosen Verdruss: Nie zuvor waren sich gegnerische Parteien nach einer Regierungsbildung derart gram wie 2009, nie zuvor waren politische Niederlagen mit so tiefen persönlichen Verletzungen verbunden. Diese menschliche Krise in der Landespolitik zu überwinden, eine neue Achtung aufzubauen, wäre ein Ziel für 2010 - unabhängig von Wirtschafts-Daten.

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