Mit Sisyphos gegen das Inferno

Mehr als 90 000 Tote, Hunderttausende strahlenkrank, Millionen traumatisiert: Der 6. August 1945 hat die Welt verändert. Als die USA über Hiroshima die Atombombe mit dem zynischen Namen "Little Boy" zündeten, begann das Zeitalter der Angst vor globaler Auslöschung.

Die ultimative Waffe übt einen unwiderstehlichen Reiz auf Machtpolitiker bis in den letzten Winkel der Erde aus. Die Gefahr, dass sie zum Einsatz kommt, wächst.

Alle neun offiziellen und inoffiziellen Atommächte arbeiten an neuen Nuklear-Raketen. Die Zahl einsatzbereiter Atomwaffen steigt kontinuierlich - auf heute offiziell 4300. Rund 1800 davon sollen "in besonderer Einsatzbereitschaft" sein. Dabei sind die Waffen Chinas, Indiens, Pakistans, Nordkoreas und Israels nicht mitgerechnet, die über ihr Arsenal schweigen. Und auch Saudi-Arabien und Iran stehen im Ruf, die Bombe anzustreben.

Die Spannungen zwischen Regionalmächten mit Atomwaffen oder Nuklearambitionen nehmen zu. Nordkorea hält Südkorea mit seinen Kurzstreckenraketen in Geiselhaft. Indien und Pakistan stehen permanent vor einem Kriegsausbruch. Der Iran und Saudi-Arabien konkurrieren um die Vormacht in der arabischen Welt. Dabei unterstützen sie schiitische und sunnitische Kampfgruppen mit Geld und Waffen. Warum nicht irgendwann mit Nuklearraketen? Und wie sicher ist das Arsenal Pakistans? Atomwaffen in den Händen von Al-Qaida und Islamischem Staat - eine Horrorvision. Zudem haben die alten Mächte des Kalten Krieges wieder auf Konfrontation geschaltet. Der Kreml verlegt Abschussbasen an die Grenzen zu Westeuropa. Washington reizt Russland mit seinem Raketen-Abwehrschirm.

Die Gefahr wächst also rasant. Auch weil heute quasi jedes Land über die Nuklear-Technik verfügen kann. Deshalb ist es umso wichtiger, den globalen Kampf gegen Proliferation, also die Verbreitung der Massenvernichtungswaffen, zu intensivieren. Die offiziellen Atommächte - Frankreich, Großbritannien, USA, Russland und China - dürfen nicht zulassen, dass es noch mehr Abweichler vom Atomwaffensperrvertrag gibt. Das geht aber nur gemeinsam. Man kann und muss hoffen, dass das Interesse, ihre nukleare Sonderstellung zu schützen, Washington und Moskau dabei immer wieder zum Schulterschluss zwingt - wie im Falle des Iran. Der Kampf gegen die Atombombe ist eine diplomatische Sisyphosarbeit. Das Iran-Atomabkommen zeigt: Sie lohnt sich.

Zu glauben, dass Teheran seine Bomben-Pläne aufgibt, nur weil es vorerst Uran nur für zivile Zwecke anreichern darf, wäre zwar naiv. Realistisch ist aber, dass der Iran die Verwirklichung seiner Pläne nach hinten geschoben hat. Ein Zeitgewinn. Nur so kann der Welt ein neues Hiroshima erspart bleiben.

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