Mit Nahles ist mehr denn je zu rechnen

Berlin · Es passiert nicht alle Tage, dass die SPD-Arbeitsministerin Anerkennung von der CSU bekommt. Gestern war es so weit. Von einem "richtigen Weg" sprach Bayerns Sozialministerin Emilia Müller. Das muss vielen Sozis seltsam in den Ohren klingen. Dabei hatte Andrea Nahles schon Ende 2015 angekündigt, die Kommunen davor bewahren zu wollen, "unbegrenzt für mittellose EU-Ausländer sorgen zu müssen". Mit klassisch linkem Internationalismus haben solche Sätze nichts zu tun, wohl aber mit Pragmatismus - und sogar einem Anflug von Populismus.

Im konkreten Fall ging es um ein Urteil des Bundessozialgerichts, wonach Bürger aus der EU schon nach sechs Monaten Sozialhilfe beanspruchen können. Gemeint waren damit vor allem arbeitslose Rumänen und Bulgaren. Dem hat das Bundeskabinett auf Vorschlag von Nahles nun einen Riegel vorgeschoben. Staatliche Stütze soll künftig erst nach fünf Jahren fließen können. Die Entlastungen für Städte und Gemeinden dürften aber überschaubar sein. Zumindest derzeit sind die Aufwendungen wegen der recht geringen Fallzahlen eher zu vernachlässigen. Umso mehr trifft der Vorstoß auf eine weit verbreitete Stimmung im Land, die kaum zwischen EU-Migranten und Flüchtlingen differenziert, sondern sich prinzipiell wegen der "vielen Ausländer" benachteiligt sieht.

In Sachen Einwanderung hat sich die 46-jährige, einstige Frontfrau der SPD-Linken allerdings ohnehin nie mit Euphorie hervorgetan. "Nicht alle, die kommen, sind hochqualifiziert", warnte sie schon frühzeitig. Natürlich war diese Skepsis auch als vorbeugende Maßnahmen gedacht: Je mehr Flüchtlinge das Asylverfahren durchlaufen haben, desto schneller finden sich viele von ihnen in der Arbeitslosenstatistik wieder. Und die wiederum ist dann alles andere als ein Aushängeschild für die zuständige Ministerin.

Auch sonst schwimmt Nahles zuweilen gegen den Mainstream in Berlin . Als CSU-Chef Horst Seehofer und ihr eigener Vorsitzender Sigmar Gabriel das vermeintliche Renten-Elend entdeckten, hielt sie lange still. Erst als der Druck immer weiter anschwoll, sah sie sich zur Ankündigung von Reformvorschlägen gezwungen. Sie werden in den nächsten Wochen erwartet. Allerdings setzte Nahles bereits eigene Akzente - gegen Seehofer, Gabriel und die Gewerkschaften, die ähnliche Forderungen zur spürbaren Aufbesserung der Renten erheben. Aus ihrem Ressort wurden Zahlen in die Öffentlichkeit lanciert, die verdeutlichen, wie teuer die verlangte "Stabilisierung" des Rentenniveaus werden könnte. Rund 40 Milliarden Euro jährlich würde die Operation am Ende kosten, rechneten die Experten vor. Und die Arbeitnehmer müssten die Zeche langfristig mit einem Beitragsanstieg um fast acht Prozentpunkte bezahlen.

Nahles kann sehr hartnäckig sein. Das musste 2005 schon der damalige SPD-Chef Franz Müntefering erfahren. Gegen dessen Willen griff die gebürtige Eifelerin seinerzeit nach dem Posten des Generalsekretärs. Müntefering trat deshalb zurück, und auch Nahles schien ihre politische Zukunft damit hinter sich zu haben. Heute können sich manche vorstellen, dass sie eines Tages sogar noch zur SPD-Kanzlerkandidatin aufsteigt. Mit Nahles ist bei den Sozialdemokraten jedenfalls stärker denn je zu rechnen.

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