Merkels Reform-Agenda: Pest oder Cholera?

Berlin. Sparen ist nicht gleich sparen. Wer sein sauer verdientes Geld aufs Konto legt, der spart. Wer auf eine geplante Couch-Garnitur verzichtet, spart ein. Bei der politischen Diskussion geht es ausschließlich ums Einsparen. Daraus erwachsen Probleme, denn nichts fällt dem Menschen schwerer, als auf lieb gewonnene Errungenschaften zu verzichten

Berlin. Sparen ist nicht gleich sparen. Wer sein sauer verdientes Geld aufs Konto legt, der spart. Wer auf eine geplante Couch-Garnitur verzichtet, spart ein. Bei der politischen Diskussion geht es ausschließlich ums Einsparen. Daraus erwachsen Probleme, denn nichts fällt dem Menschen schwerer, als auf lieb gewonnene Errungenschaften zu verzichten. Es ist ein emotionaler Impuls: Schon das Baby schreit wie am Spieß, wenn man ihm etwas wegnimmt. Bei den Erwachsenen ist es nicht viel anders.Deutschland muss einsparen. Bund, Länder und Kommunen sind bis an die Halskrause verschuldet, "seit Jahren", klagt die Bundeskanzlerin, "leben wir über unsere Verhältnisse". Eine ebenso unangenehme wie simple Wahrheit, die den Bürgern durchaus bewusst ist. Volk und Volksvertretern dämmert gleichermaßen, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Die Schuldenuhr tickt unbarmherzig, derzeit steht sie bei 1,708 Billionen Euro - und jeden Tag kommen über 150 Millionen Euro hinzu. Ein schwacher Trost, dass Länder wie Griechenland, Spanien oder gar die USA weit schlimmer dran sind.Nachdem sich die schwarz-gelbe Bundesregierung in das Unabänderliche gefügt und die versprochenen Steuersenkungen abgeblasen hat, geht es nun ans Eingemachte: Wo soll, muss und kann gestrichen werden, um das strukturelle Defizit auszugleichen und der Schuldenbremse gerecht zu werden? Es ist die Stunde der Realisten und Mutigen, aber auch der Populisten und Verzagten. Einen Vorgeschmack liefert die Debatte um die ersten konkreten Vorschläge. Hessens Ministerpräsident Roland Koch, in der öffentlichen Wahrnehmung nicht eben ein politischer Sympathieträger, machte den Anfang - und erntete einen Sturm der Entrüstung. Koch hatte es gewagt, "alles" auf den Prüfstand stellen zu wollen, auch die heiligen Kühe Bildung, Forschung und Kinderbetreuung. Die Worte, die er wählte, waren moderat. Von den Reaktionen kann man das nicht behaupten. Müsste man eine Metapher wählen, könnte man Kochs Idee getrost als Cholera bezeichnen. Der andere Weg, die Einnahmen zu erhöhen anstatt die Ausgaben zu senken, wäre demnach die Pest. Der Haushaltsexperte der CDU, Norbert Barthle, wagte sich ebenfalls an ein Tabu und plädierte für die Einführung einer Pkw-Maut. Ein Reizthema nicht nur für ADAC und Autofahrer, die ja bereits mit allgemeinen Steuern, mit Mineralöl-, Kfz- und Ökosteuern die Verkehrsinfrastruktur finanzieren - und dennoch oft über holprige Strecken fahren müssen. Auch in Flächenländern wie Bayern und Niedersachsen ist die Maut so beliebt wie Vulkanasche. Gleiches gilt für den Tipp von DIW-Chef Klaus Zimmermann, die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent zu erhöhen. Was tun? Renten-Zuschüsse kürzen? Arbeitsmarkt-Maßnahmen streichen? Elterngeld einkassieren? Bundeswehr stutzen? Egal, was vorgeschlagen wird, das Zeter und Mordio wird nicht lange auf sich warten lassen. Anfang Juni will das Bundeskanbinett in Klausur gehen und ein Sparpaket schnüren, der Rasenmäher soll zuhause bleiben. Das ist ein Fehler, denn eine "Gleichbehandlung" vertragen die Menschen besser als wenn man einzelnen Gruppen etwas wegnimmt und so Verlierer schafft. Die Spar-Aktion kann, wenn sie ernsthaft verfolgt wird, zu Angela Merkels Reform-Agenda werden. Dann hätte sie eine Menge Ärger - aber endlich auch ein Projekt, das sich mit ihrem Namen verbindet.

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