Merkels Furcht vor dem Erdbeben
Berlin. Vor fünf Jahren löste die Wahl in Nordrhein-Westfalen ein politisches Erdbeben aus. Nicht nur, dass CDU und FDP im bevölkerungsreichsten Bundesland der Republik kräftig zulegten und Rot-Grün abdanken musste. Auch die rot-grüne Bundesregierung kam schwer unter Druck
Berlin. Vor fünf Jahren löste die Wahl in Nordrhein-Westfalen ein politisches Erdbeben aus. Nicht nur, dass CDU und FDP im bevölkerungsreichsten Bundesland der Republik kräftig zulegten und Rot-Grün abdanken musste. Auch die rot-grüne Bundesregierung kam schwer unter Druck. Noch am Wahlabend kündigten die Sozialdemokraten vorgezogene Neuwahlen an, durch die sie sich am Ende wenigstens in eine große Koalition retten konnten. Am Sonntag sind die Wähler an Rhein und Ruhr erneut zur Stimmabgabe aufgerufen. Und wieder steht viel auf dem Spiel. Ein schwarz-gelber Machtverlust in Düsseldorf hätte weitreichende Konsequenzen für das Regierungshandeln von Angela Merkel. Im Bundesrat wäre die Mehrheit von Union und FDP futsch. Weitere Steuersenkungen hätten sich damit genauso erledigt wie die Kopfpauschale. Beide Vorhaben sind eine Herzensangelegenheit der FDP. Geht die Sache am Sonntag schief, dann würden die Liberalen wohl noch unberechenbarer werden, als sie es zum Ärger vieler Unionsleute in Berlin jetzt schon sind. In der CDU wird jedenfalls Schlimmes befürchtet. Das Ergebnis für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, könnte womöglich noch schlechter ausfallen, als die Umfragen erwarten lassen. Für ein Weiterregieren mit der FDP würde das dann nicht reichen. Dieser Trend ist ein Spiegelbild der bundespolitischen Wählerstimmung. Der Dauerzoff der Berliner Koalition über soziale und finanzpolitische Schlüsselthemen hat das schwarz-gelbe Image erheblich ramponiert. Und nun sieht sich Merkel auch noch zu der höchst unpopulären Maßnahme gezwungen, den vom Finanztod bedrohten Griechen mit Milliardenbürgschaften unter die Arme zu greifen. In Nordrhein-Westfalen wiederum steht die Landes-CDU im Mittelpunkt diverser Finanzaffären. Diese Mischung sorgt für einen spürbaren Vertrauensschwund in die Rüttgers-Regierung. Galt eine rot-grüne Mehrheit vor Monaten noch als völlig abwegig, so ist daraus inzwischen wieder eine mögliche Machtoption geworden. Beide wollen das Votum in NRW zu einer Abstimmung über die Bundesregierung machen. Die Sozialdemokraten trommeln gegen die Gesundheitsreform, die Grünen gegen eine Verschiebung des Atomausstiegs. Kein Wunder, dass der Urnengang als "kleine Bundestagswahl" angesehen wird. Käme die SPD in Düsseldorf wieder an die Macht, wäre die Depression der Partei endgültig ausgestanden. Über den Bundesrat wäre sie dann wieder ein wichtiger politischer Faktor, an dem die Bundesregierung nicht vorbei käme. Die Grünen können ebenfalls hoffen. Selbst ein Bündnis mit der Union ist bei ihnen nicht ausgeschlossen. Mit dem erstmaligen Einzug der Linken in den Landtag hätte sich zudem die Lafontaine-Truppe endgültig auch im Westen etabliert. Nur Sieger im Oppositionslager also. Richtig düster sieht es hingegen für die FDP aus. Käme sie in die Opposition, wäre eine Diskussion über den Führungsstil von Westerwelle programmiert. Für Merkel sind das keine ersprießlichen Aussichten. So paradox es klingt: Jenseits einer Neuauflage von Schwarz-Gelb könnte die Bundesregierung am ehesten noch ein rot-grünes oder gar ein rot-rot-grünes Bündnis trösten. Alle anderen Konstellationen ohne die FDP, aber mit der CDU würden den ohnehin brüchigen Koalitionsfrieden in Berlin auf eine harte Probe stellen.