Merkel bietet Zuflucht vor dem nächsten Desaster

Berlin. Erst beim Handschlag mit Angela Merkel für die Kameras huscht ein Lächeln über das Gesicht des "Cavaliere". Vorher steht Silvio Berlusconi mit gerunzelter Stirn an der Seite der Kanzlerin, nickt ihr zu, wann immer sie "Wir" sagt, macht sich Notizen

Berlin. Erst beim Handschlag mit Angela Merkel für die Kameras huscht ein Lächeln über das Gesicht des "Cavaliere". Vorher steht Silvio Berlusconi mit gerunzelter Stirn an der Seite der Kanzlerin, nickt ihr zu, wann immer sie "Wir" sagt, macht sich Notizen. Bei der Pressekonferenz nach den deutsch-italienischen Regierungskonsultationen in Berlin ist der Ministerpräsident die Ruhe selbst - kein Anzeichen dafür, dass sich in seinem Land die Probleme stapeln wie der Müll in Neapel. Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts über das Immunitätsgesetz, das heute gesprochen werden soll, droht bereits das nächste Desaster.Das Gericht befindet darüber, ob die im Frühjahr 2010 verabschiedete Immunitätsregelung mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist. Die Norm erlaubt es, dass Verfahren gegen Regierungsmitglieder für 18 Monate ausgesetzt werden können, wenn die Betroffenen wegen ihrer Amtspflichten nicht an einem Prozess teilnehmen können. Aus diesem Grund liegen derzeit zwei Verfahren gegen Berlusconi auf Eis. Sie könnten wieder aufgenommen werden, sollte das Gericht gegen ihn urteilen. In einem Fall geht es um mutmaßliche Steuerhinterziehung, im anderen um den Vorwurf der Bestechung. Italienische Medien rechnen mit einem komplizierten Kompromiss, da die 15 Richter sich nicht einig sind. Zu den wahrscheinlichsten Möglichkeiten zählen eine Regelung, nach der Berlusconi nicht vor Gericht erscheinen muss, wenn er an Gipfeltreffen teilnimmt, sowie eine Gesetzesänderung, wonach Richter von Fall zu Fall vorgehen können.

Das Immunitätsgesetz verfolgt Berlusconi bis nach Berlin, doch er spielt das Thema herunter. "Das ist eine Initiative, die von den parlamentarischen Fraktionen vorangetrieben worden ist. Ich habe das nie beantragt", erklärt der 74-Jährige. "Es lässt mich völlig kalt, ob diese Prozesse nun gestoppt werden oder nicht." Er selbst habe bei seiner Familie geschworen, dass er sich nichts habe zu Schulden kommen lassen. Das werde er den Italienern auch noch einmal in einer Fernsehansprache erklären. Berlusconi nutzt seine Redezeit in Berlin gleich noch für einen Seitenhieb auf Italiens Gerichtsbarkeit, die er als "Pathologie" bezeichnet. Die Justiz sei "ein echtes Machtzentrum in Italien und viel mehr, als eigentlich von der Verfassung vorgesehen ist", sagt er.

Draußen vor dem Reichstag protestieren derweil ein paar Italiener gegen den Besuch des Regierungschefs. Auf großen Schildern stehen Sprüche wie "Europa braucht kein Berlusconistan". Es sind junge Italiener, die in Berlin leben und sich "No Berlusconi Berlin" nennen. Wie viele ihrer jungen Landsleute sind sie gegen die personenzentrierte Politik des Regierungschefs, der wegen des Bruchs mit Parlamentspräsident Gianfranco Fini in einer innenpolitischen Krise steckt. Sie sind gegen Berlusconis drastische Sparmaßnahmen vor allem im Bereich von Bildung und Kultur. Und gegen Gesetze wie die Immunitätsregelung, die aus ihrer Sicht das Fass zum Überlaufen bringen. "Das ist doch keine Demokratie - mit solchen Gesetzen!", sagt eine Demonstrantin.

Berlusconi sieht das freilich anders. Eine mögliche Gefahr für die Regierung sehe er in dem Prozess nicht, sagt er an Merkels Seite. Sein Anwalt versicherte vor einigen Tagen den italienischen Medien: "Ich bin von Haus aus Optimist." Und auch der Regierungschef selbst verdeutlicht, dass er dem Urteil keinerlei Bedeutung beimisst. "Ich finde es lächerlich, worum es hier geht."

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