Mehr Zuckerbrot für Athen

Meinung · Spät, aber noch nicht zu spät ist Angela Merkel nach Athen gereist. Es war bisher, als ob die Chefärztin den Patienten nicht besuchen wollte, weil sie wusste, dass sie mit Vorwürfen über die höllischen Schmerzen der von ihr verordneten radikalen Therapie konfrontiert werden würde. Es war, als kneife sie

Spät, aber noch nicht zu spät ist Angela Merkel nach Athen gereist. Es war bisher, als ob die Chefärztin den Patienten nicht besuchen wollte, weil sie wusste, dass sie mit Vorwürfen über die höllischen Schmerzen der von ihr verordneten radikalen Therapie konfrontiert werden würde. Es war, als kneife sie. Sie versäumte es so, den griechischen Kranken aufzuklären über den Sinn ihrer Verordnungen, versäumte auch, ihm Hoffnung und Perspektive zu geben. Das ist nun korrigiert.Ihre schwere Krankheit, diesen Verfall durch chronische Überdosierung mit Krediten, haben sich die Griechen selbst zuschreiben. Selbst wenn die Deutschen auch davon profitiert haben - Merkels letzter Besuch 2007 galt noch schönen, von Athen auf Pump finanzierten Rüstungsgeschäften - gehen die Schuldzuweisungen gegen Berlin an der zentralen Verantwortung der hellenischen Politik vorbei. Kein deutscher Politiker kann dafür, wenn die Reichen dort nicht wenigstens jetzt zum Steuerzahlen gebracht werden, wenn es so einseitig die Armen und die Jungen trifft. Es ist beschämend, dass sich gestern mit dem Linken Bernd Riexinger ein deutscher Parteivorsitzender im Ausland der Demagogie gegen sein eigenes Land anschloss.

Mit den einfachen Menschen Griechenlands ist Solidarität hingegen angebracht. Und wer sie hierzulande nicht aufbringt, auch weil er täglich über den angeblichen Griechen-Schlendrian aufgehetzt wird, der sollte sich an das Schicksal der vielen Ostdeutschen erinnern, denen Sozialismus und Wende ihre Lebensplanung zerriss, ohne dass sie individuell etwas dafür konnten. So wie Ostdeutschland ein Teil Deutschlands ist, so ist Griechenland ein Teil Europas.

Die Schuldenkrise ist ein Stresstest für die europäische Solidarität. Merkels Zögern hatte auch damit zu tun, dass sie lange glaubte, ihren Wählern daheim diese Solidarität in dem notwendigen Umfang nicht abverlangen zu können. Dass es mit der Solidarität also in Wahrheit nicht weit her ist. Lange nahm die Kanzlerin Rücksicht auf die "Griechenland-Raus"-Strategen, die es in ihrer Partei und noch mehr bei ihren Partnern CSU und FDP zuhauf gibt. Merkel hat den Kranken deshalb länger leiden lassen als nötig. Und sie hat dann strikt auf Zuckerbrot und Peitsche bestanden, Leistung und Gegenleistung, Kredit gegen Reform. Jetzt freilich droht der Patient an einer Überdosis dieser harten Medikation zu sterben.

Jetzt braucht er vorübergehend mehr Zuckerbrot - mehr Vertrauen, mehr Zeit, mehr Investitionen und sehr bald noch mehr Geld. Merkel muss das nun den Deutschen erklären. Denn die Kanzlerin hat dem griechischen Patienten gestern Mut gemacht. Und ein solches Versprechen am Krankenbett verpflichtet auch die Ärztin.

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