Mehr Geld in die Taschen

Meinung · Es sind zwiespältige Daten, die das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gestern veröffentlicht hat: Zwar konnten sich die Arbeitnehmer 2011 über einen ordentlichen Schluck aus der Lohnpulle freuen. Doch mit der Inflationsrate goss Wiesbaden auch gleich wieder Wasser in den Wein. Unter dem Strich sind die Reallöhne wegen des Kaufkraftverlustes nur um einen mageren Prozentpunkt gestiegen

Es sind zwiespältige Daten, die das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gestern veröffentlicht hat: Zwar konnten sich die Arbeitnehmer 2011 über einen ordentlichen Schluck aus der Lohnpulle freuen. Doch mit der Inflationsrate goss Wiesbaden auch gleich wieder Wasser in den Wein. Unter dem Strich sind die Reallöhne wegen des Kaufkraftverlustes nur um einen mageren Prozentpunkt gestiegen. Und das in Zeiten, in denen allerorten von einem Wirtschaftsboom die Rede ist. Wieder einmal erlebten die meisten Arbeitnehmer das, was sie schon oft erlebt haben: Es war Aufschwung, und keiner hat's so richtig gemerkt. Jedenfalls nicht bei ihren verfügbaren Einkommen.Vor diesem Hintergrund klingt es sehr plausibel, dass die Gewerkschaften das Ruder abrupt herumreißen wollen. Nach jahrelanger Lohnzurückhaltung soll es bei den Tarifverhandlungen nun wieder in die Vollen gehen. Auch dafür lieferten Statistiker Zahlen: Von Anfang 2002 bis Ende 2011 kletterten die Löhne und Gehälter um gut elf Prozent. Die Preissteigerungen im selben Zeitraum betrugen jedoch 17 Prozent. Das bedeutet auf längere Sicht einen klaren Kaufkraftverlust. Eine Sechs vor dem Komma bei den Lohnforderungen scheint deshalb nun zur puren Selbstverständlichkeit zu werden. Bereits "eingepreist" ist sie bei der IG Metall und auch bei der Gewerkschaft Verdi, die sich für die anstehenden Lohnrunden im öffentlichen Dienst besonders kämpferisch präsentiert.

Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch die Tatsache, dass große Lohnsprünge die Inflation noch weiter anheizen werden. Berücksichtigt werden muss auch, dass es mit dem XXL-Wachstum erst einmal vorbei ist. Nach allen Vorhersagen wird der Zuwachs des deutschen Bruttosozialprodukts im laufenden Jahr kaum mehr als ein Prozent betragen. Lohnabschlüsse weit über dem Produktivitätsniveau sind daher ökonomisch problematisch, so verständlich die Tarifforderungen auch klingen mögen. Was also tun?

Es gibt eine Möglichkeit, damit Arbeitnehmer mehr Geld zur Verfügung haben, ohne bei Tarifverhandlungen zu überziehen. Die Möglichkeit heißt Steuersenkung. Aber nicht nach dem Muster der FDP. Tatsächlich führt die "kalte Progression" dazu, dass selbst Lohnsteigerungen nur in Höhe der Inflationsrate zum großen Teil vom Fiskus aufgefressen werden. Hier wäre eine Abflachung des Tarifs angebracht. Die Mindereinnahmen für den Staat sollten aber durch eine Mehrbelastung der Spitzenverdiener ausgeglichen werden. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Während Normalverdiener seit 2002 real weniger Geld in der Tasche haben, sind die großen Verdienste gestiegen. Es wäre deshalb ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, hier politisch für Abhilfe zu sorgen.

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