Mehr als ein Volksfest

Ballons, Trommeln, Demo-Marsch vom Saarbrücker Theater zum Schloss, kurz ein paar politische Reden; dann aber – trara – bitteschön Musik, Bier und Schwenker. Der 1.

Mai, einst stolzer Kampftag der Arbeiterschaft, ist zum Volksfest mutiert. Wo ist der Kampfgeist geblieben, etwa von 1890, als die Arbeiter und Arbeiterinnen auf die Straße gingen, um für die Acht-Stunden-Tage zu streiken? Wo die Aufbruchstimmung der 50er Jahre, als die Mai-Kundgebungen halfen, den arbeitsfreien Samstag durchzudrücken?

Die Kampflust der früheren Demonstrationen ist verloren gegangen. Vielleicht liegt es daran, dass bereits so vieles erreicht scheint. Der Raubtierkapitalismus ist - zumindest hierzulande - größtenteils einem Miteinander gewichen. Längst haben die meisten Unternehmen erkannt, dass die Mitarbeiter ihr wichtigstes Kapital sind.

Nicht umsonst genießt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei vielen Firmen höchste Priorität. Der drohende Fachkräftemangel verstärkt diese Entwicklung noch. Und auch die Gewerkschaften können sich auf die Schultern klopfen: Mindestlohn und Rente mit 63 sind auf dem Gesetzesweg - zentrale Forderungen der Arbeitnehmerschaft stehen damit vor der Verwirklichung.

Hat sich der 1. Mai damit überholt? Ist er noch zeitgemäß angesichts der Tatsache, dass es bei der Mai-Wanderung weit mehr in die Natur zieht als zu den politischen Demonstrationen? Reiht sich der Tag der Arbeit damit nicht in eine große Zahl kirchlicher Feiertage ein, bei der die Mehrheit all derer, die die freien Tage genießen, ihre Bedeutung gar nicht mehr kennt?

Sicherlich wäre es ein möglicher Ansatz, den 1. Mai als Feiertag ersatzlos zu streichen, und den erwirtschafteten Mehrwert ähnlich wie beim Buß- und Bettag beispielsweise für die Gegenfinanzierung der Rente mit 63 zu nutzen. Das jedenfalls würde all den Kindern zugutekommen, die anlässlich der Mai-Feierlichkeiten arglos ihre Bratwurst genießen, unwissend, welche Lasten ihnen ebendiese Rente für die Zukunft aufbürdet. Realistisch ist dies jedoch nicht. Längst kann der freie 1. Mai als Kulturgut gelten, als ein Besitzstand, den aufzugeben niemand bereit wäre.

Dem Kampf mehrerer Generationen an dem "Tag der Arbeit" haben wir zu verdanken, dass die Arbeitsbedingungen hierzulande auf einem so hohen Niveau sind. Und trotzdem gibt es noch viele Missstände, die es zu bekämpfen gilt: die Ausbeutung über Schein-Werkverträge und der Missbrauch von Minijobs sind nur einige Beispiele. Vielleicht wird der 1. Mai ja eine Renaissance erleben und wieder zu einem Kampftag für Arbeitnehmerrechte werden - und nicht nur zu einem Volksfest mit politischen Parolen, Schwenker und Bier. Es wäre ihm zu wünschen.

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