Martin Schulz macht die Union nervös

München/Berlin · Analyse Der gemeinsame Gegner ist stärker als erwartet und schweißt CDU und CSU zusammen. Zumindest auf den ersten Blick, denn die neue Harmonie ist brüchig.

() Er ist nicht hasenfüßig. Er doch nicht, der Horst Seehofer, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident. Erst recht nicht, wenn da einer von der SPD zum Angriff bläst, wie jetzt Martin Schulz. Seitdem die Sozialdemokraten den bisherigen Europapolitiker zum Kanzlerkandidaten ausgerufen haben, fährt die SPD für ihre Verhältnisse sensationelle Umfragewerte ein. Ausgerechnet am Sonntag, dem Tag der geplanten Versöhnung von Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel, liegt die SPD bei 29 und die Union bei 33 Prozent. So klein war der Abstand seit Jahren nicht mehr. Die Union ist alarmiert. Revidiert Seehofer nun sein 40-Prozent-Ziel für die Union bei der Bundestagswahl im September?

Seehofer steht vor dem neuen, modernen Gebäude der CSU-Landesleitung, auf das die Partei so stolz ist. Die Sonne an diesem kalten Tag fällt auf sein Gesicht, er spricht wie immer ruhig und leise. "Wir sind doch keine Hasen, die im Feld hin und her hüpfen, je nachdem, wo gerade Regentropfen fallen", antwortet er. Es bleibt also dabei: 40 Prozent plus X.

"Disziplinierende Wirkung" habe Schulz' Nominierung für die Unionsparteien, hieß es schon vor Tagen in der CDU. Beim "Zukunftsgipfel" der Union, der auch heute noch in München stattfindet, soll daher nach monatelangem Streit um die Flüchtlingspolitik endgültig Frieden zwischen den Schwestern geschlossen werden. Damit wollen Seehofer und Merkel ein Aufbruchssignal für den Wahlkampf setzen. Der Zoff um die Obergrenze für Flüchtlinge besteht jedoch weiter, wie Seehofers Ankündigung belegt, ohne die Obergrenze in keine Koalition mehr eintreten zu wollen.

Nicht nur deswegen dürfte die neue Harmonie brüchig sein: In Merkels Umfeld heißt es, dass die vielen Attacken Seehofers Spuren hinterlassen haben, das Vertrauen sei dahin. Auf der anderen Seite steht in der CSU nicht mehr jeder uneingeschränkt hinter der Kanzlerkandidatin Merkel.

Außerdem haben sich zuletzt neue Konflikte angedeutet: Während die Bundeskanzlerin beispielsweise kühl auf Distanz zum US-Präsidenten Donald Trump gegangen ist, hat Seehofer ihn gelobt. Und auch ihre Einstellungen zu Kreml-Chef Wladimir Putin oder zum ungarischen Autokraten Viktor Orban könnten kaum unterschiedlicher sein.

Merkel weiß zudem: Nichts mobilisiert ihre Kritiker mehr als sinkende Umfragewerte. Hat die Nominierung von Schulz zwar den Druck zur Einigkeit erhöht, so ist diese Einigkeit zugleich wieder gefährdet, falls der Aufwind der SPD anhält. In der Union hofft man nun, dass sich spätestens dann das Blatt wieder wendet, wenn der Genosse sich inhaltlich konkreter positionieren muss. Klar ist aber inzwischen jedem in der Parteiführung, dass nicht mehr nur die AfD der Gegner im Bundestagswahlkampf sein wird, sondern mit Schulz überraschend ein weiterer dazu gekommen ist. Einer, der vermeintlich unbelastet ist durch die große Koalition, und der schon jetzt die Zerstrittenheit der Unionsschwestern immer wieder anheizt.

Die ersten Parteifreunde erhöhen daher nervös den Druck auf Merkel: Ein "Weckruf" seien die Umfragezahlen, sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach am Wochenende. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht auf der Suche nach einem neuen Wähler zwei Stammwähler verlieren", betonte er. Und die Bundeskanzlerin selbst? Sie hält sich bedeckt und wartet weiter ab. Noch.

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