Machtpoker um Europa

Brüssel · Das war kein Gipfel der Ergebnisse, sondern der Machtdemonstration. Wer geglaubt hatte, die Staats- und Regierungschefs gäben nach dem verlorenen Streit um den nächsten Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker ihren Einfluss aus den Händen, hat sich geirrt.

Der Erste, der das zu spüren bekam, war Juncker selbst.

Auswählen wollte er aus mehreren Personalvorschlägen der Hauptstädte für die ihnen zustehenden Kommissare, um sich eine Regierungsmannschaft zusammenstellen zu können. Er wurde abgeblockt. Das wusste auch Ratspräsident Herman Van Rompuy, als er nach dem Gipfel sagte: "Falls das ein Fehlstart ist, ist es nicht seine Verantwortung." Das mag sein. Geschwächt ist der neue Kommissionschef aber dennoch, schon bevor er sein Amt antreten konnte.

Einen einflussreichen Posten in der Kommission forderte der britische Premier David Cameron. Man schob ihn aufs Abstellgleis. Ein Mann, der ständig mit dem Ausstieg aus der Union droht, wird diese Gemeinschaft nicht über Jahre hinweg von innen manipulieren dürfen. Und auch der durch seine Wahlergebnisse beflügelte italienische Ministerpräsident Matteo Renzi musste erleben, dass seine Außenamtschefin mangels Erfahrung und angesichts einer unerwünschten politischen Nähe zu Moskau als Außenministerin der EU nicht durchsetzbar war.

Keine Ergebnisse? Der EU-Gipfel hat sich die Macht, die ihm das Parlament abgetrotzt zu haben glaubte, zurückgeholt. Dass es bis zur endgültigen Fertigstellung der Führungscrew nun noch (mindestens) bis Ende August dauert, ist kein Beinbruch. Auch die zweite Barroso-Kommission konnte nur mit dreimonatiger Verspätung ihre Arbeit aufnehmen, ohne die Standfestigkeit der Union zu gefährden. Solche Zeitpläne sind Nebensache, wenn die Lenker der Mitgliedstaaten sich zuerst einmal sortieren müssen.

Und das müssen sie. Selten zuvor hat der Brite Cameron so klar vorgeführt, bekommen, welche Folgen es hat, wenn er sein Land zunehmend von Europa entfremdet - nicht zuletzt durch die Benennung eines Europaskeptikers zum Außenminister. Die neue Achse Paris-Rom und von dort über Spanien und Portugal nach Griechenland spaltet die Gemeinschaft, weil die Personalvorschläge für unterschiedliche Politiken stehen - in Sachen Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und sogar Außenpolitik. Die dänische Premierministerin Helle Thorning-Schmidt wäre als Ratspräsidentin ungeeignet, weil sie nicht für die Euro-Zone sprechen könnte. Dass der französische Finanzminister Pierre Moscovici als Währungskommissar abgelehnt wurde, kommt einem Misstrauensvotum an die Haushaltspolitik Frankreichs gleich.

Die Union ist vielleicht nicht gespalten, aber doch - wie ein ICE, den man für die Weiterfahrt geteilt hat - auf zwei unterschiedlichen Wegen unterwegs. Die einen wollen eine EU, die Reformen fordert und Stabilität sichert. Die anderen eine EU light, die sich raushält und unangenehme Reformen dadurch lindert, dass sie frisches Geld ranschafft. Solange diese Differenzen nicht geklärt sind, kann man sich auch nicht auf Persönlichkeiten einigen, die die Richtung der Gemeinschaft bestimmen. Insofern ist die Ergebnislosigkeit dieses Gipfels sogar richtiger, als wenn man sich gedankenlos auf ein paar Namen verständigt hätte. Es wären sicher die falschen gewesen.

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