Machtkampf um Chefposten beim Europarat

Straßburg · Im Palais de l'Europe herrscht in der besinnlichen Weihnachtszeit hinter den Kulissen große Aufregung: Schon Monate vor der im Juni 2014 anstehenden Kür des Generalsekretärs des Europarats, der auf dem Kontinent freiheitliche Rechtsstaatlichkeit durchsetzen soll, hat der Wahlkampf begonnen. Die Anspannung hat viel mit deutscher Innenpolitik zu tun: Die noch wenige Tage amtierende schwarz-gelbe Regierung hat Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (62) als Kandidatin für den Spitzenjob benannt – und damit die Straßburger Szene aufgescheucht.

Die FDP-Politikerin fordert den norwegischen Amtsinhaber Thorbjörn Jagland heraus, seit 2009 im Amt.

Die Aspiranten für den Chefposten vermeiden noch jede öffentliche Stellungnahme: Doch im Hintergrund haben die Positionskämpfe begonnen, man sondiert Bündnisse, Handys klingeln in den Regierungszentralen der 47 Europaratsländer und bei Mitgliedern der Parlamentarischen Versammlung des Staatenbunds. Neben Jagland und Leutheusser-Schnarrenberger dürften noch weitere Bewerber antreten. Heiß gehandelt wird in Straßburg der Name des Franzosen Jean-Claude Mignon, momentan Präsident des Europaratsparlaments. In den Medien wird zudem über Kandidaturen des serbischen Ex-Präsidenten Boris Tadic, des EU- Erweiterungskommissars Stefan Füle (Tschechien) und der europäischen Allzweckwaffe Jean-Claude Juncker spekuliert, der in Luxemburg jüngst als Regierungschef entmachtet wurde.

Nach dem Flop mit Jaglands britischem Vorgänger Terry Davis, der dem Europarat keinerlei Profil zu verschaffen vermochte, wird von der Nummer 1 im Palais de l'Europe ein internationales Renommee erwartet, das dem Staatenbund hilft, sich auf der europäischen Bühne zu behaupten, vor allem gegenüber der mächtigen EU.

Die Bilanz Jaglands, der in Oslo Ministerpräsident und Außenminister war und dem Friedensnobelpreis-Komitee vorsteht, mutet durchwachsen an. Er reist oft in nationale Hauptstädte zu Gesprächen. Dieser Tage suchte er in Kiew zu vermitteln und gewann beide Seiten für die Einrichtung eines Gremiums, das Gewalt bei einer Großdemonstration prüfen soll - doch die Dynamik im ukrainischen Machtkampf ist über diesen Erfolg schon hinweggegangen. Unter Jagland gab es Fortschritte beim geplanten Beitritt der EU zur Menschenrechtscharta des Europarats, womit sich Brüssel der Rechtsprechung des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs unterwerfen würde - vollzogen ist dieser Schritt auch nach Jahren aber immer noch nicht.

Leutheusser-Schnarrenberger, die sich als Anwältin von Bürgerrechten versteht, wäre das Amt des Generalsekretärs wie auf den Leib geschneidert. Vor ihrem Eintritt in die Bundesregierung 2009 gehörte sie dem Europaratsparlament an, wo sie sich als Berichterstatterin für den Fall Chodorkowski mit Kritik an den fragwürdigen Prozessen gegen den prominenten russischen Oppositionellen einen Namen gemacht hat. Sie kennt als mehrjähriges Mitglied des Rates der EU-Justizminister auch aus dieser Warte die Winkelzüge internationaler Politik. Positiv könnte sich für die Liberale der im Palais de l'Europe gepflegte Parteienproporz auswirken: Jagland und dessen Vorgänger Davis sind Sozialdemokraten - eine andere Couleur scheint nun wahrscheinlich.

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