Macht und Moral
Als VW-Chef Martin Winterkorn Ende September vor die Kameras trat, um seinen Rücktritt bekannt zu geben, vermittelte er den Eindruck eines Managers, der bereit ist, für Verfehlungen im Konzern einzustehen.
Er übernehme die Verantwortung für die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten, sagte Winterkorn. Wie wenig diese Worte wert waren, zeigt sich jetzt. Denn der Preis, den Winterkorn für das Missmanagement bei Europas größtem Autobauer tragen muss, geht gegen Null. Im Gegenteil: Er muss zwar nicht mehr arbeiten, bekommt aber seinen Vertrag bis Ende 2016 weiter ausgezahlt - bei einem Jahresgehalt von zuletzt über 15 Millionen Euro kein schlechter Deal, selbst wenn Boni verloren gehen.
Wenn Winterkorn, der über viele Jahre bestens verdient hat, nur eine Spur moralischen Empfindens hätte, müsste er auf eine sofortige Auflösung seines Vertrags dringen. Auch wenn er selbst den Skandal nicht zu verantworten hat. Verantwortung heißt, persönlich einzustehen, mit allen finanziellen Folgen.
Das Beispiel Winterkorn zeigt, dass es längst überfällig ist, über Manager-Gehälter und Verantwortung in Spitzenpositionen neu nachzudenken. Dies gilt umso mehr, weil die Wirtschaft in Sachen Mindestlohn immer wieder darauf hinweist, dass der gezahlte Lohn ja auch erwirtschaftet werden muss. Es gebe viele Tätigkeiten, mit denen sich in den Unternehmen ein Mindestlohn nicht erwirtschaften ließe, so die Argumentation der Arbeitgeber.
Sicherlich ist das nicht von der Hand zu weisen. Im Gegenzug stellt sich - auch am Beispiel Winterkorn - allerdings die Frage, ob denn ein Manager ein zweistelliges Millionengehalt wirklich erwirtschaftet. In einem guten Jahr mag das sein. Doch wie aktuell das Beispiel der Bahn zeigt, gibt es auch Jahre mit Milliardenverlusten. Dann ist der Manager sein Geld nicht mehr wert. Jeder selbstständige Unternehmer steht mit seinem eigenen Geld für Erfolg und Misserfolg ein. Geht etwas schief, spürt er das schmerzhaft im Geldbeutel.
Es kann nicht sein, dass Aufsichtsräte weiter Managern Millionengehälter zubilligen, wenn deren einziges Risiko bei Fehlentscheidungen darin besteht, dass sie mehr Freizeit bei vollen Bezügen bekommen. Hier müssen sich auch die Gewerkschaften Versagen vorwerfen lassen. Wer, wenn nicht sie, soll denn in den Aufsichtsräten eine Korrekturfunktion einnehmen?
Dass diese absurde Praxis bei den absoluten Top-Verdienern nicht allein in der Wirtschaft die Regel ist, zeigt der Fall José Mourinho . Weil der Chelsea-Trainer den geforderten Erfolg nicht bringt, wird sein bis 2019 laufender Vertrag "im gegenseitigen Einvernehmen" beendet. Er bekommt 16 Millionen Euro Abfindung. Für mangelnde Leistung im Job kein schlechter Trost.